Shortstories
Vorwort

Jeder von euch kennt sicherlich das Gefühl, wenn man manchmal tagelang von einem Song verfolgt wird, der sich einfach nicht vertreiben lässt. Ganz im Gegenteil: Je mehr man darüber nachdenkt wie man ihn wieder loswird, desto hartnäckiger wehrt er sich gegen seine Vertreibung. So bin ich vor einigen Jahren auf die Idee gekommen, zu genau diesen Songs ein paar Geschichten zu schreiben, auch um für mich selbst zu erfahren, warum sie eigentlich so wichtig geworden sind?

Nicht alle dieser Lieder möchte man ja unbedingt loswerden, viele waren geradezu bedeutend für bestimmte Lebensabschnitte und mit vielen dieser Songs kann man sich auf wunderbare Weise zurück in eine Zeit beamen, die man schon längst vergessen glaubte. Welche Kunst kann das schon von sich behaupten? So bilde ich mir zum Beispiel ein, noch genau zu wissen, welche Früchte auf meinem Eisbecher im Sommer 1976 waren, als ich im Radio eines Cafés in meiner Heimatstadt Potsdam zum ersten Mal „Dancing Queen“ von ABBA hörte, eine Single, die es wenig später sogar in der DDR zu kaufen gab.
Oder die verqueren Texte von Ton Steine Scherben, die sie 1981 auf ihrem Album „IV“ veröffentlicht haben: Man selbst war gerade als wütender Jugendlicher auf dem Weg nach Berlin unterwegs, die Hormone spielten verrückt und man war drauf und dran die Weltrevolution zu starten. Ich hatte „Ich will nicht werden was mein Alter ist“ im Ohr, Rio Reisers Ode an alle wütenden Jugendlichen – und nun das! Ich hasste die neue Platte mit all diesen merkwürdigen, mir völlig unverständlichen Texten – und dann war es genau dieses wunderbare Werk, was mich ein Jahr später selbst zum Stift greifen und erste Texte für die eigene Band schreiben ließ. Und aus eben diesen Gründen würde ich diese Platte heute immer noch auf die berühmte „einsame Insel“ mitnehmen, falls mich mal jemand fragen sollte.
Ich will an dieser Stelle in loser Reihenfolge ein paar meiner alten Geschichten veröffentlichen und hoffe, dass auch noch ein paar weitere Geschichten im Laufe der Zeit dazukommen. Manche Songs werden euch bekannt vorkommen, manche dieser Songs werden wohl aus gutem Grund für immer unbekannt bleiben – und manche sind mir eigentlich furchtbar peinlich.
Doch eines eint sie allemal: Sie sind wichtig!
Viel Spaß beim Lesen!

Starlight – Muse (Black Holes and Revelations/2006)

Chaosforscher Dr. Rössler warnt seit Monaten eindringlich vor den Experimenten am Labor für Teilchenphysik CERN in Genf, denn er befürchtet die Entstehung von kleinen Schwarzen Löchern, die binnen 50 Monaten die Erde auffressen könnten. Ich verstehe nicht wirklich was er meint, denn wenn ich es recht bedenke, sind mir Schwarze Löcher schon seit ein paar Jahren bekannt. Man versucht sich krampfhaft an etwas zu erinnern, doch anstelle der Erinnerungen findet man nur eine ganze Reihe eben dieser schwarzen Löcher. Sie werden immer größer, was einem natürlich Angst machen kann, ob sie allerdings jemals die gesamte Erde verschlingen können, wage ich zu bezweifeln. Und wenn wäre es mir auch egal, denn ich würde es ja kaum mitbekommen.

Far away
The ship is taking me far away
Far away from the memories
Of  the people who care if I live or die

Es gibt Dinge, die sind einfach nicht wichtig genug, Weiterlesen

Breaking the Law – Judas Priest (British Steel/1980)

Die Sonne brannte erbarmungslos durch die Fenster unseres Russischraumes, der sich im obersten Stockwerk des Schulhauses, leider direkt unter dem Dach, befand. Wir schwitzen wie verrückt, doch draußen regte sich kein Lüftchen, so dass selbst die offenen Fenster nicht den erwünschten Effekt brachten. Eigentlich wäre es Zeit gewesen, sich das Fahrrad zu schnappen, um an die Seddiner Kiesgruben zu fahren, unserer bevorzugten Badestelle. In letzter Zeit blieben am Strand zwar die Mädchen aus, weil ein paar Idioten aus unserer Parallelklassedort dort gern Frösche mit Strohhalmen aufbliesen und anschließend zum Zerplatzen brachten, aber das war allemal besser, als hier in der sechsten Stunde bei meiner Klassenlehrerin im Russischunterricht zu sitzen.
Ich hasste Russisch und dieses Fach ausgerechnet in der letzten Stunde zu haben, machte die Sache nicht interessanter. Ich hasste Russisch nicht wegen der Russen, zumal ich ja kaum welche kannte, sondern vor allem wegen unserer Russischlehrerin Frau Dörrbrandt. Sie war eine aufgebrezelte, hässliche alte Zimtzicke, die uns Weiterlesen

Bild Beitrag Allein in Elbflorenz

Red Scar Eyes – Mitch Ryder (Got Change For A Million/1981)

Irgendwie erreichte ich doch noch die letzte U-Bahn in Richtung Pankow. Gott sei Dank, denn nach diversen schlecht gemixten Cola-Wodka-Mischungen verspürte ich nicht die geringste Lust, den ganzen Weg in den Prenzlauer Berg zurück zu laufen. Ich war gerade die Treppe aus dem HdjT herunter gestolpert, einem Laden, in dem jeden Dienstag die wichtigsten Berliner Bands spielten – oder diejenigen, die sich dafür hielten. Doch leider musste man sich dort den Abend jedes Mal lustig trinken, denn die Stimmung galt schon dann als auf dem Siedepunkt, wenn nur jemand leicht mit dem Fuß im Takt mit wippte. Hier im HdjT hatte man nicht wirklich Spaß, hier ging es fast ausschließlich ums Sehen und Gesehen werden. Man amüsierte sich allenfalls über das Geschehen auf der Bühne.
Das Publikum bestand aus der typischen Berliner Musikantenpolizei, genauer gesagt aus männlichen Musikern, die mit verschränkten Armen und mit alkoholischen Getränken bewaffnet, finster in Richtung Bühne blickten. So ähnlich musste es damals im römischen Kolosseum gewesen sein, denn auch im HdjT war es äußerst selten, dass die Daumen nach einer Vorstellung nach oben gingen. Ich erinnere mich vage an eine Band namens Villon, Weiterlesen

Somewhere Over The Rainbow – Marusha (Raveland/1994)

Ich kann es kurz machen: Mühlmanns Technophase begann vollkommen überraschend im Spätherbst 1993 und endete ebenso plötzlich und unerwartet schon im darauffolgenden Sommer, nach einem kurzen Blick auf seine Kontoauszüge. Mühlmann war verstimmt und übellaunig und in dieser Stimmung sah ich ihn auch das letzte Mal. Es war ein kurzer Sommer der Liebe und auch die Liebe selbst schien sehr einseitig, zumindest was ihn betraf. Hier gab kein Geben und Nehmen, Mühlmann reichte es anscheinend bloß zu geben. Es klingt zwar hochnäsig, aber ich musste ihm nicht mal beweisen, dass Techno nicht das Geringste mit Musik zu tun hatte. Er kam irgendwie von selbst darauf.
Mühlmann arbeitete in unserem kleinen Büro direkt neben mir, genauer gesagt saßen nur Mühlmann und ich in diesem Büro. Weiterlesen

Jugendliebe – Ute Freudenberg & Gruppe Elefant (Jugendliebe/1981)
Happy Together – The Turtles (Happy Together/1967)

Ich nenne sie an dieser Stelle einfach mal Kati. Kati war meine erste große Jugendliebe, wenn man es so will. Dass es nicht so funktioniert hat wie sie es sich vorgestellt hatte, lag wohl ausschließlich an mir. Kati ging in meine Parallelklasse und ich muss gestehen, dass sie mir zuvor gar nicht groß aufgefallen war. Der Grund hierfür war Andrea, um die ich mich schon seit Monaten bemüht hatte. Leider bekam ich nie eine Antwort von ihr. Sie ignorierte mich völlig, aber allem Anschein nach musste sie mein hartnäckiges Werben wohl doch ziemlich beeindruckt haben, denn sie empfahl mich ihrer besten Freundin weiter. So wurde ich schlussendlich also an Kati übergeben.
Kati gestand mir Wochen später, dass sie schon länger in mich verliebt war, sich jedoch nicht getraute mich anzusprechen. Ich hatte von alldem natürlich überhaupt keinen blassen Schimmer, denn ich hatte wohl einfach nur Augen für Andrea und alles andere um mich herum einfach ignoriert. Ja, ich brauchte sogar noch eine ganze Weile, um Weiterlesen

Hey Punker – Prollhead (Prall!/1994)
Hey Punker – Slime/Abwärts (Prollhead fordert Tribut!/1995)
Did you know wrong – The Sex Pistols (Flogging a Dead Horse/1980)

Vor vielen, vielen Jahren soll es eine Zeit gegeben haben, da muss es rebellisch gewesen sein, ein Punk zu sein. Vor mehr als 30 Jahren etwa, als der Begriff Casting noch gar nicht erfunden war, erblickte plötzlich eine von einem Modedesigner entworfene Band namens „The Sex Pistols“ das Licht der Welt. Dass ein bisschen Krawall, ein geiles Outfit und ein paar fotogen eingeworfene Drogen mehr wert wäre, als ein paar Songs oder sogar das Erlernen eines Instruments, war auch damals schon kein Geheimnis mehr. Man steckte die Band also in ein paar Talkshows, ließ sie ungebremst von der Leine, ließ sie nebenbei ein paar Konzerte spielen, von denen die Hälfte im Vorfeld bereits wieder abgesagt wurden und steckte sie in ein Plattenstudio. Heraus kam eine Rille, die aus heute wohl nicht mehr nachvollziehbaren Gründen die Musikwelt revolutionierte und völlig auf den Kopf stellte.
„No future!“ war das Gebot der Stunde, was aber eher für die Punks vor der Bühne als Weiterlesen

Bild Beitrag Laterne am Meer

Ich träume oft davon ein Segelboot zu klauen – Udo Lindenberg (Single/1976)

Da sitze ich nun, 25 Jahre nachdem mir dieser Song, aus heute sicherlich nicht mehr so leicht nachvollziehbaren Gründen, die Tränen in die Augen getrieben hat, unter einer flackernden Laterne auf einer halbfertigen Ferieninsel, von der man schon seit Jahren weiß, dass sie den Charme einer ehemaligen Gefängnisinsel wohl niemals so richtig abschütteln kann. Wie denn auch? Fuerteventura ist nicht das Land der Träume, auch wenn dort im Winter die Sonne scheint und sich ab und zu eine Palme im kargen Wüstenboden festkrallen kann. Das war es dann auch schon, der Rest ist handgemacht. Es bleibt ein Eiland, für dessen Einnahme vor 400 Jahren nicht mehr als eine Handvoll Seefahrer vonnöten war, auf dem der Sklavenhandel blühte, und das jetzt im Viertelstundentakt von Billigfliegern angesteuert wird, dessen proletarischer Inhalt anschließend den wohlgeordneten 14-tägigen Paradiesurlaub in einem all inclusive-Viereck abzubummeln versucht.

Ich träume oft davon
Ein Segelboot zu klauen
Und einfach abzuhauen

Welche Richtung wollte man damals eigentlich ansteuern, wenn man Weiterlesen

Cleanin‘ Out My Closet – Eminem – (The Eminem Show/2002)

„Bärchen?“
„Mutter! Nicht schon wieder du! Weißt du überhaupt, wie spät es hier ist? Fuck you!“
„Bärchen, ich wollte dir doch nur gratulieren, ich hab´s im Fernsehen gesehen: Du hast 3 Preise gewonnen! Für was eigentlich?“
„Ich bin nicht dein ‚Bärchen‘ – merk dir das ein für alle Mal! Ich bin über 18! Schreib dir das hinter deine Ohren! Ich heiße Eminem! E-M-I-N-E-M!!!“
“Also hör mal! Ich bin deine Mutter! Und für mich bleibst du immer mein kleines ‚Bärchen‘!“
„Shit, fuck you! Weißt du überhaupt, wie viele Pressefuzzis nur auf so was warten? Hast du überhaupt ansatzweise eine Ahnung, wer hier alles das Hoteltelefon abhören kann? Ich bin hier in Europa!“ Weiterlesen