Über den Wolken…

5.Kapitel: 2000 – Über den Wolken

…ist die Freiheit genau 80 x 80 x 80 tief, um mal Helge Schneider zu zitieren! Von London/ Heathrow nach Newark/ New Jersey! Da sitzt er nun, der genervte Saitenquäler, eingeklemmt zwischen einem wackligem Bauchbord, auf dem dünnster amerikanischer Kaffee gefährlich vor sich hin dampft, daneben eine kalte, noch dunkelgrüne Banane, die von einem strahlend gelben Omelett bewacht wird und nicht zu vergessen die beiden amerikanischen Provinzlerinnen zu meiner Rechten und Linken (War es denn schwer, vor den Russen zu fliehen?) – ja genau, immer auf die „12“ – und wartend auf die Frage, ob Adolf Hitler noch immer König von Deutschland ist. Auch die beiden blonden Stewardessen von „American Airlines“ kommen mir irgendwie bekannt vor. Aus dem Fernsehen? Waren das nicht die Aufseherinnen aus „Frauen hinter Gittern?“ Na ja, die beiden Hauptdarstellerinnen hier ließen zumindest in optischer Hinsicht eine spannende und kurzweilige Reise erwarten…
Nach der 3. Wiederholung von „007 – Im Dienste Ihrer Majestät“, wahlweise auch in Spanisch, setzten wir auch schon wieder flugs zur Landung an. Kinder wie die Zeit vergeht! Und hier, sozusagen auf dem festen Boden der Tatsachen, wurden nun auch unsere brennendsten Fragen vom amerikanischen Bodenpersonal recht anschaulich beantwortet: Wie hoch fliegt eigentlich ein 30 kg schweres Samplerrack? Wie weit fliegt eine von zwei starken Männern geworfene Marshallbox? Und auf welcher Seite wird sie landen? Der Flug der Leidenden hatte ein Ende. Zumindest vorläufig.
1. Einstellung: Dicker amerikanischer Polizist mit tiefergelegtem Colt mustert missmutig unsere Arbeitserlaubnis. (…jetzt schicken die uns auch schon Musiker rüber!!!) O lala, der Zutritt in „Gods own country“ scheint also nicht jedem Sterblichen gegönnt zu sein. Papiere wurden kontrolliert, auf die Kisten wurde gewartet – die Sekunden vergingen wie Stunden. Einigen Kalkleichen in meiner Reihe sah man deutlich den 9stündigen Nikotinentzug an. Doch dann begann der Sturm auf die Bastille, das heißt den Ausgang: Ausgehungerte Marlboro-Männer tasteten mit zittrigen Fingern die Jackentaschen ab und entflammten noch im Laufschritt ihre Zippos. Gott sei Dank – der Tag konnte beginnen!
Dann ging es mit 3 Vans, die unsere Plattenfirma „Metalblade“ für uns gemietet hat, 80 Meilen quer durch New Jersey nach Pennsauken, unserem Auftrittsort. Natürlich verloren wir uns schon keine 1000 Meter nach dem Flughafen aus den Augen – doch wie durch Zauberhand geführt trafen wir uns in Pennsauken wieder – natürlich vor dem falschen Hotel. Ich will das mal an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Am Abend dann noch ein erstes schüchternes Zusammentreffen mit der einheimischen Bevölkerung in der Hotelbar. Das man hier noch rauchen durfte wurde uns erst im Laufe der nächsten Wochen wieder schmerzlich bewusst…
2. Einstellung: Pennsauken/ Expo-Center. Das „March Metal Meltdown“ – von hier aus nun sollten wir Amerika erobern. Also brachen wir schon mittags auf, um das Geschehen schon mal unter die Lupe zu nehmen. Das hätten wir nicht tun sollen: In vier Schepperhallen gaben sich  hier im Stundentakt die Bands ein Stelldichein, unter ihnen welche mit so lebensbejahenden Namen wie Holocaust – und das alles natürlich zeitgleich! Ich bin viel gewöhnt, werte Leserschaft, aber das Toninferno hier setzte allem die Krone auf, insbesondere, da Halle 2 und 3 nur durch einen schwarzen Stoffvorhang (!!!) getrennt waren. (Hier gewann im Laufe des Abends immer wieder die rechte Seite, unterstützt durch die bessere PA, das Rennen um die Zuschauergunst). Panikartig studierten wir den Ablaufplan – zu unserem Glück hatten wir die Halle 4 fast ganz allein für uns, was wohl nicht nur an einer göttlichen Fügung, sondern wohl auch am Zutun unserer äußerst rührenden „Metalblade“-Crew lag.
Eine Erwähnung meinerseits verdient natürlich noch der Biergarten, in dem das besonders bei trinkfesten Germanen beliebte „Bud light“ käuflich zu erwerben war und der am Eingang von uniformierten Polizisten deshalb strengstens bewacht wurde. Ob Halbglatze, Rentner, Krückstock oder Rollstuhlfahrer, hier wurde jeder (!) jedes Mal (!!) auf sein Alter (!!!) hin kontrolliert. Feine Sache so was: Alkohol ab 21, Führerschein ab 18, Papas Pumpgun ohne Altersbegrenzung!
Nach einem MTV-Interview dann unser Auftritt. Ich wollte meinen Augen nicht trauen: Nachdem den ganzen Tag über nicht mehr als 25 – 30 Kids vor der Bühne rumlümmelten, konnten wir die Zuschauerzahl mit einem Male mindestens verzwanzigfachen. „Metalblade“ scheinen also wirklich ganze Arbeit geleistet zu haben, nicht nur was den ganzen Presserummel usw. betrifft, sondern ebenso was die Anmietung von Equipment angeht. Das ließ das Konzert natürlich zu einem riesigen Spaß werden, mit dem wir die hier nicht gerade unterversorgten Metaller aus der Reserve locken konnten. Und ich glaube ganz unbescheiden, zumindest an diesem Abend waren wir die einzige Band, die eine Autogrammstunde abhielt. Abhalten konnte!
3. Einstellung: Dr. Pymonte trifft auf dem Flug Newark – Los Angeles auf die verschollene Schwester des Jackson-Clans. Na klar, die Frau mit dem Mundschutz musste es sein, die einzige, die damals komplett aus der Art schlug, weil sie nicht singen und tanzen, dafür aber zumindest die Angst vor Ansteckung geerbt hat. Und wer wohl hatte den Platz neben ihr? Siehe oben! Ich glaube, der Doktor hatte 5 1/2 Stunden `ne Menge Spaß (er redet leider nicht mehr gern über dieses Thema), vielleicht hätten wir sie doch lieber in eine Pyrokiste gesteckt und Lösegeld verlangen sollen? Fotos gegen Höchstgebot!
Los Angeles/ Kalifornien. Ich vermute mal, der „Marlboro“-Mann ist nicht wirklich an Lungenkrebs gestorben, sondern er wurde hier von den bewaffneten Mitgliedern der Anti-Raucher-Liga hinterrücks erlegt. Zumindest würde das hier niemanden wundern… Jaaaa, ab nun aber Sonne satt – mit allem was dazugehört. „Metalblade“ gönnte uns mal wieder 3 Vans, mit denen wir uns durch diese nicht gerade bescheidende Stadt zu unserem Hotel durchkämpfen mussten. Micha Einhorn (Ich brauch` im Osten keine Karte!!!) bewies wieder mal sein Gefühl für die richtige Himmelsrichtung und chauffierte uns ins „Farmers Daughter“-Hotel, welches wie ja so vieles einen Vor- und Nachteil hatte: Es lag zwar unweit des Sunset-Boulevards, aber Farmers Tochter ließ sich trotz Nachdruck nicht blicken.
Der nächste Tag war nun unser erster „Haushaltstag“, die ersten Socken und Unterhosen durften nachgekauft werden und der Terminplan ließ uns Zeit für Stadt- und Landerkundungen – um das im Fernsehprogramm erworbene Amerikabild dem Härtetest zu unterziehenUnd L.A. sparte nun wirklich nicht mit Reizen: Supermärkte, die 24 Stunden geöffnet hatten, Musikläden, groß wie IKEA-Möbelhäuser und natürlich das unvermeidliche Hollywood (dessen Boulevard mich blöderweise eher an die Ernst-Thälmann-Straße in Potsdam-Babelsberg denken ließ). Nichtsdestotrotz wollten die lieben Musikerkollegen mich heute mit einem wahren Kulturbonbon überraschen: ein Bandausflug in den „Joshua Tree“-Nationalpark sollte es sein. Für mich als ausgemachter U 2-Feind kostete es anfangs zwar etwas Überwindung, doch die Neugier, wie man denn eine ganze Platte nach ein paar Klamotten und ein paar mickrigen Palmen benennen konnte, siegte dann doch. Vielleicht lag ja die Inspiration für diese Kapelle doch woanders, Jim Morrison soll ja zum Kiffen auch des Öfteren in der Wüste abgetaucht sein! Werden da kostenlos Drogen verteilt? Um es kurz zu machen: Ich bin immer noch kein Freund von U 2 und werde es wohl auch nie sein! Und natürlich, wie sollte es auch anders kommen, wurde von den 425 amerikanischen Radiosendern nur für mich derjenige von den lieben Mitreisenden ausgewählt, auf dem Bono wieder einmal die Welt verbessern wollte…    Am Abend ging es dann noch ins Rainbow, wo Motörhead-Lemmy ja eigentlich tagtäglich Hof halten sollte. Na ja, fast tagtäglich jedenfalls, denn natürlich ausgerechnet heute… Wäre doch wenigstens Bono dagewesen! Aber wir wollten es ja sowieso nicht übertreiben, da am nächsten Tag zu Werbezwecken (und zur Freude aller) ein mittelalterlicher Straßengig in Santa Monica angesetzt war. Was tut man nicht alles, um Popstar zu werden!
Santa Monica: Sonne und Meer! Dachte ich auch, also knappstens bekleidet den Van bestiegen und los ging´s. Leider verfinsterte sich in den nun folgenden 10 Fahrminuten durch aufziehenden Nebel die Sicht so sehr, dass vom Meer nicht viel mehr als das Ufer zu erkennen war. Großartig! Und da ich nicht nur aus künstlerischen Gründen meinen geliebten Trumscheit in der Heimat lassen musste, waren die Technikcrew und ich heute sozusagen die Zaungäste des Mittelalters – oder besser: Zettelverteiler. Die Amis waren schwerstens begeistert von den „nice guys from Germany“ und versprachen, in Massen das morgige Konzert im Whisky a GoGo zu besuchen – ebenso der nette Polizist, der uns eigentlich erst vertreiben wollte, dann aber an diesem wirren Haufen doch seinen Gefallen fand.
Einstellung 4: Buchstabentausch am „Whiskys“. Da sich der Veranstalter dermaßen für die in seinem Laden auftretenden Bands interessierte, war nicht nur unser Name falsch geschrieben. Also musste wohl oder übel noch einmal der hauseigene Magnetstab bemüht werden – kein Wunder bei täglich jeweils 5 auftretenden Bands.
Ein Hauch von großer Geschichte umwehte diesen Laden natürlich schon, selbst die Doors bemühten sich hier schon für mehrere Wochen um die Gunst des Publikums und auch sonst allerhand Bands, von denen man die eine oder andere CD im heimischen Schrank hat. Gleich zu Beginn fiel mir ein kleines rotes Leuchtschild auf, welches nur von der Bühne einsehbar war: „Last Song!“ Was für eine geniale Erfindung! Da wir heute so etwas wie der Headliner waren und als letzte spielen durften, konnten wir dieses Schild aber beruhigt ignorieren. Beim Soundcheck trudelten so nach und nach die anderen 4 Bands ein, teilweise schon in Make Up, böse maskiert, aber wie so oft stellten sie sich als die nettesten Typen überhaupt dar. Eine Band hatte unseretwegen sogar ein kleines Deutschlandfähnchen gekauft… Nach dem in den folgenden 6 Stunden musikmäßig bösartigst zur Sache gegangen wurde, waren wir endlich an der Reihe und konnten die 400 Gestalten nochmal zur Raserei treiben. Wenn man bedenkt, dass unter ihnen nicht wenige Journalisten, Booker und andere Neugierige des Musikbuisiness waren (die in Deutschland meist mit verschränkten Mienen im hinteren Bereich herumlungern), dann waren die Reaktionen doch mehr als erfreulich! PS: Auch in diesem Laden durfte, wie überall, nicht geraucht werden!
Am nächsten Tag ging es über Dallas nach Austin/ Texas. Wie immer veranstaltete die Bodencrew der jeweiligen Flughäfen ein internes Basketballspiel mit den Gepäckstücken – nicht nur mit unseren – aber die brachten des Gewichts wegen scheinbar Bonuspunkte.
Hier in Austin findet nun, wie in jedem Jahr, die „SXSW“-Messe mit über 600 auftretenden Bands statt. Das Ganze spielt sich, bis auf wenige Ausnahmen, zwischen der 5. und der 7. Straße innerhalb der City ab. Wie gesagt: Bis auf wenige Ausnahmen. Doch dazu später. Erstmal ging es wieder mit unseren Vans auf Hotelsuche, dieses Mal befand sich dieses wunderbar gelegen an der Auffahrt zur Interstate 35 – und direkt vor unserem Fenster konnten wir den Fortgang der Bauarbeiten des neuen Autobahnkreuzes beiwohnen. Anfangs vermissten wir natürlich die gewohnte Zentrumsnähe (faule Bande), bis wir feststellten, das Austin, mal abgesehen von den 3 Straßen in denen sich die Clubs befinden,  über gar kein Zentrum verfügte. Austin war nix weiter als eine Ansammlung von Supermärkten, Tankstellen, Fast Food-Läden und Hotels entlang der beiden Autobahnen – mal so grob zusammengefasst, auch wenn mich die Cowboys dafür lynchen würden!
Nach dem wir uns im abendlichen Kulturteil dann mit Patty Smith, Gluecifer, den Nashville Pussys und anderen amüsiert hatten, ging es dann am nächsten Tag zu unserem eigentlichen Auftrittsort. Und der hieß natürlich nicht umsonst „BACK Room“, befand er sich doch gelinde gesagt inmitten dieser riesigen Industriepampa am Stadtrand. Die Gegend erinnerte doch sehr an die beliebten sonnabendlichen Einkaufsziele an den Stadträndern deutscher Großstädte. Zwar verfügte dieser Laden mit über die größte Bühne der Stadt, doch stattdessen mangelte es natürlich auch an Zuschauern. Warum auch in die Pampa ziehen, wenn in der City einmal im Jahr das Leben tobt? „Wird schon werden“ war nicht – auch wenn das ebenfalls die Hoffnung der 4 anderen Bands war. So spielten wir halt das großartigste Konzert unseres Lebens vor den 25 Mitmusikern, der Barbelegschaft, den 6 Messegästen, Doro, den „Metal Blade“-Abgesandten und der begeisterten Toncrew des Back Room. Wie sagte schon Gorbatschow? Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!
Auch wenn`s jetzt zäh wird, den folgenden Tag möchte ich euch dennoch nicht verschweigen: Bandausflug war angesagt! Bandausflüge haben natürlich immer was Skurriles an sich, wie alle Butter- und Heizkissenfahrten ja auch und sind ein hervorragendes Experimentierfeld für verhinderte Sozialpädagogen (wie Doro und meiner Wenigkeit) und willenlosen Opfern (der Rest der Band – Ääääätsch!!!). Hier stellen sich gruppendynamische Prozesse sozusagen in den schillerndsten Farben dar: Ziel waren also die Marple Falls, die vermuteten (und auch kartographierten) riesigen Wasserfälle des Colorado River in der Nähe Austins. Mit 3 Fahrern völlig unterschiedlichen Charakters (Micha, Wegewitzi und Reiner), völlig ausgehungert (an der nächsten Kneipe gibt`s was zu essen) und ohne Karte (das hab` ich im Gefühl) standen die Sterne für einen gelungenen Ausflug gut. Nach 3 Stunden Fahrt in der Sonne und durstig wie Hannibal nach der Alpenüberquerung, stellte sich schließlich heraus, das die „Marple Falls“ zwar „Marple Falls“ hießen, aber warum, das wusste selbst die einheimische Landbevölkerung nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Sie konnten sich auch überhaupt nicht erklären, warum in unserem amerikanischen Autoatlas ausgerechnet in der Nähe ihres Wohnortes riesige Wasserfälle als Sehenswürdigkeit eingetragen waren.
Nachdem wir uns in einem Privatgelände verfahren hatten, mehrere Dörfer abgeklappert hatten, einen amerikanischen Pfarrer mit lautem Hallo die Show gestohlen hatten und auch sonst geradezu kriminalistisch den möglichen Weghinweisen der Angesprochenen zu folgen versuchten, fanden wir unser Ziel: eine einsame Tankstelle (mal nach`m Weg fragen!!!) mit kaltem Bier und ungeheurem Chipsangebot. Nach den letzten beiden Frageversuchen gaben wir es dann endgültig auf. Hier nun die beiden preisgekrönten Antworten: 1. Hier gibt`s so viel Straßen – ich weiß nicht, wo die alle hingehen! 2. Die großen Wasserfälle kann man gerade nicht sehen- weil die unter Wasser sind! Unser Ausflug endete gewissermaßen im Nirvana…
„Ich fand sie irgendwo allein in Mexiko – Anita (Anita), schön war ihr Haar, die Augen wie zwei Sterne so klar (du dubi dup di dub du dubi dup di dub)“ – na ja, Mexiko klang jedenfalls weitaus vielversprechender. Aber vor das Vergnügen hat der liebe Gott den Schweiß gesetzt, der den Kollegen spätestens beim Durchqueren der Luftlöcher beim Landeanflug auf Mexiko deutlich auf der Stirn anzusehen war. Und auch Doro war merklich unruhig, sollte doch hier auf dem Flughafen Mexico/ City bereits das erste Zusammentreffen mit der Göttin aller Promoterinnen, Clauzzen, vonstattengehen.
Kommen wir also zur 5. EinstellungDie zumindest in Mexiko, dank Clauzzen, bereits berühmte Gruppe In Extremo wird unter Kamera- und Blitzlichtgewitter bereits am Flughafen von einer Unmenge schöner Frauen (na ja, wir wollen es nicht übertreiben – zumindest was die „Unmenge“ betrifft) erwartet und sie besteigen die bereits mit laufendem Motor bereitstehenden Busse, die sie mit Hilfe von Chauffeuren in das erste Haus am Platze geleiten sollen. Okay, ganz so war es nicht – aber bestimmt fast ganz genau so…
Von Clauzzen hatten wir ja nun schon mehrfach über Doro gehört und wurden von ihren Faxen und E-Mails quer durch Amerika verfolgt, aber das uns hier so eine dermaßen nette und charmante Mexikanerin erwarten würde – damit hatte nun wirklich niemand gerechnet (vor allem in Anbetracht der uns bekannten und in Deutschland in der Musikbranche weiblich Tätigen – von den wenigen Ausnahmen einmal abgesehen!) Und gleich nach der Landung ging es auch voll ans Eingemachte: Fernsehteam am Flughafen, kurzes Einchecken ins Hotel, Pressekonferenz im Hard Rock Live, Interviews, Interviews, Interviews, Küsschen hier und da, Interviews und noch mal Interviews. Dafür gab es für den Abend dann eine großzügige Einladung zum Essen…
Der nächste Tag begann (sehr, sehr früh) ebenfalls mit Interviews, die sich so bis in den Nachmittag hinzogen, bevor es dann zur „Otro Rollo-Show“ ging, der wohl mit ca. 50 Millionen Zuschauern wohl größten TV-Show Mexikos.  Der Moderator, ein äußerst netter Typ – eine Mischung zwischen Harald Schmidt und Thomas Gottschalk vielleicht – ist in Mexiko so eine Art Kultfigur, räumt hier in allen Belangen unvergleichlich ab und hat hier beispielsweise mehr Platten abgesetzt als AC/DC, U2 (hähä) und Marilyn Manson zusammen. Hier durften wir nun den „Spielmannsfluch“ zum Besten geben. Nachdem Micha ihn seines Basecaps entledigte, fand er Gefallen und Interesse an den komisch gekleideten Deutschen und kündigte uns in den höchsten Tönen an. Dass diese Sendung anscheinend von wirklich jedem verfolgt wurde, sollte sich in den nächsten Tagen dann noch zeigen: In wirklich jeder Fressbude, jedem Fahrstuhl und an den unglaublichsten Stellen wurde nach Autogrammen gefragt (die mangels Papier auch auf den unglaublichsten Dingen unterschrieben wurden).
Der Mittwoch begann mit einer Uni-Tour, die von „Radio Orbita“ (einem echt megageilen Rockradio, von dem sich Berlin mal eine Scheibe abschneiden könnte – und wo Megawusel Clauzzen natürlich noch eine eigene Show hat) live begleitet wurde. Na ja, bei „Uni-Tour“ dachten wir uns nichts weiter – bis wir vor der ersten Uni standen: 300 wildgewordene Mexikaner – und nicht zu vergessen die Mexikanerinnen – stürmten mit Plakaten (Danke Clauzzen!), Rucksäcken, Stenoblocks und schwerstens geschminkt (nochmals Danke Clauzzen) auf die nun plötzlich doch erst mal eingeschüchterte Band ein. Malt euch das selber aus – wenn so die Hölle aussieht, würden wir dort gern noch ein bisschen verweilen… Das Ganze wurde dann noch an zwei weiteren Orten wiederholt, unterbrochen von Interviews, Fernsehen und wieder Interviews bevor dann zum Showdown geblasen wurde: „Tower Records“ – Autogrammstunde!!! Was hier abging kann ich mit meinem bescheidenen Wortschatz leider nicht wiedergeben – nur so viel: Es standen so viel Leute vor dem Laden, dass wir noch eine Extrarunde mit dem Bus drehen mussten, weil die Security noch nicht fertig war…
Donnerstag nun durften wir endlich unserer eigentlichen Bestimmung nachgehen und endlich (!!!) auch einmal Musik machen. Deswegen waren wir ja eigentlich auch hier… Das Hard Rock Live war ein Laden mit vielleicht 800 Plätzen in der Nähe des Zentrums dieser Riesenstadt. Leider kosteten die Karten umgerechnet ca. 50 DM, was ja auch schon für europäische Verhältnisse überhalb  der Kotzgrenze liegen dürfte. Eine Sache, die wir leider nicht ändern konnten! Ein Blick vom Dach des Hauses, 2 Stunden vor Konzertbeginn, ließ Puck dann plötzlich erbleichen: In Extremo-Merchandising-Stände groß wie bei Bundesligaheimspielen von Hertha BSC! Clauzzen meinte nur, wir könnten froh sein, denn dies sei das untrügliche Zeichen dafür, berühmt zu sein! Waren wir ja heimlich auch (Ganz heimlich, oder Kollegen?). Und da ich als bescheidener Bassist eh nur einen super subjektiven Konzertbericht von mir geben könnte, erspare ich euch diesen. Nur so viel: Unbeschreiblich! Clauzzen eröffnete uns ein paar Stunden vorher, dass dieses Konzert zeitgleich in ihrer Radioshow übertragen würde, was nicht unbedingt zur Beruhigung des Lampenfiebers beitrug. Zur 3. Zugabe stellte sie sich dann auf die Bühne, machte eine spanische Ansage der höllischer Applaus folgte und verschwand wieder. Wir waren natürlich völlig neben der Tasse, bis wir später erfuhren, dass unsere Dolmetscherin Heike mit dem Bürgermeister (der schon im Backstage auf uns wartete), Clauzzen  und Doro ein Free Concert für Sonntag in der City vereinbart hatten. Doch dazu später…
Freitag war nun endlich wirklich frei, wobei das 700 km entfernte Guadalajara schon von Ferne zum nächsten Auftritt winkte. Also ging es in einem mexikanischen Nightliner (!!!), der zur kurzweiligen Bandunterhaltung spanische C-Movies bot, gegen Mittag schon wieder auf die Piste. Ich muss wohl nicht extra betonen, dass die Straße selbst den größten Unterhaltungswert hatte… Abends dann einchecken, Kopf zur Seite und abgenickt!
Guadalajara ist ja, wem es bekannt sein sollte, Christoph Zimmermanns letzte Heimatstadt geworden, bevor er dann leider auf so tragische Weise ums Leben kam. Letztendlich hatten wir ihm dieses Konzert (wenn nicht den Kontakt zu Mexiko überhaupt) zu verdanken! Nachdem wir im Laufe des Tages, während des Stadtbummels, in diversen Kaufhäusern und Cafés  wieder Unterschrift um Unterschrift (sogar eine völlig neu renovierte Kneipenwand musste herhalten) loswurden, wurde es dann auch bald ernst. Doch die Begeisterung unterschied sich hier in Guadalajara in nichts von der in Mexico/ City.
Unterdessen kümmerte sich Dolmetscherin Heike in Mexico um das Free Concert, Sinn des Ganzen war natürlich, ein Konzert für all jene zu geben, die sich die wirklich megateuren Eintrittskarten hier nicht leisten konnten. Was dann passierte, hätten wir uns allerdings auch in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Doch erstmal ging es des Nachts die 700 km zurück, nach dieser Tortur (vor allem wegen der üblen Schlaglöcher) waren alle ziemlich gerädert. Irgendwie hatte niemand das Gefühl, am Abend noch in irgendeiner Form ein Instrument in die Hand zu nehmen.
Um 18.00 Uhr wurden wir dann vom Hotel abgeholt, doch dieses Mal in zwei Bussen, welche wohl die Regierung gestellt hatte. Irgendwie dachten wir noch gar nicht daran, dass wir  jetzt nach diesen zwei großen Konzerten noch einmal was draufsetzen könnten – oder auch müssten…
Auf dem Coyoacanplatz, der mitten im mexikanischen Künstlerviertel lag, finden wohl jeden Sonntag Konzerte dieser Art statt. Nachdem wir dort angekommen waren, spielte gerade eine texanische Bluesband, es waren vielleicht 3000 Leute dort und völlig unerwartet für hiesige Verhältnisse war dieser Platz zudem noch bestuhlt. Doch der Sound war okay, die Anlage passabel – also Zeit für ein Frühstück. Nach einer Stunde wurde es langsam Zeit mal nach dem Rechten zu sehen und uns traf der Schlag. Der Platz war restlos überfüllt, die Leute saßen auf Mauern, auf Autodächern, auf Bäumen und auch die Bestuhlung hatte ihren Zweck für ein gemütliches sonntägliches Beisammensein weit verfehlt. In Extremo T-Shirts soweit das Auge reichte. Langsam schlich sich nun nicht nur bei mir also ernsthaftes Lampenfieber ein. Blöderweise musste die Anlage noch neu verkabelt werden und ein (zumindest klitzekleiner) Soundcheck über die Bühne gebracht werden. Doch dann, Schlag 9 Uhr ging es los und Leute und Band explodierten auf die Sekunde genau – ohne Rücksicht auf Verluste. Besser kann ich das auch nicht beschreiben. Komischerweise sind die Konzerte mit der wenigsten Vorbereitungszeit im Nachhinein immer wieder die besten.
Unter Polizeischutz wurde dann im Backstage noch so etwas wie eine Autogrammstunde abgehalten, bei der es äußerst lustig zuging. Ich musste mit meinem geborgten „Labello“ ab und zu den Kollegen die spröden Lippen verarzten, da die Mexikanerinnen in dieser Hinsicht keine Gnade kennen. Selbst eine Polizistin (die ja eigentlich mit für unser „Wohlergehen“ zuständig war) riss sich die Uniform herunter und ließ sich ihre Unterwäsche signieren. So in etwa ging das noch eine ganze Weile, bis wir dann, eskortiert von zwei Polizeiwagen mit Blaulicht, aus der Gefahrenzone entkommen durften. Aber Gefahren dieser Art  sind ja nicht das unangenehmste…
Dann ging es zum Chill out in eine mexikanische Tanzbar, wo Herr Doktor unter viel Hallo zu mächtig großer Form auflief und seinen Meister auch nur in Grufti fand. Und nur durch Pymontes Badelatschen ließ sich die bestechliche Jury zu einem Punktabzug in der Haltungsnote hinreißen.
Schlusseinstellung: Zum Ende der Tour gönnten wir uns noch zwei Tage, um die Touristenattraktionen in der Nähe von Mexico/ City abzuhaken – die unvermeidlichen Pyramiden und die Silberstadt Taxco. Es wurde auch höchste Zeit, durch die aktive Mithilfe der Sonne und ein bisschen Schlaf ein paar kosmetische Gesichtskorrekturen an uns vorzunehmen. Ich sage nur: Augenringe!!! Apropos Sonne: Es gab natürlich eigentlich zwei Pyramiden zu besteigen – die „Mondpyramide“ um die gesammelte schlechte Energie wieder loszuwerden und die „Sonnenpyramide“… Das überlasse ich eurer Phantasie. Aber wer braucht eigentlich die „Mondpyramide“??? Die Lutter
(aus dem Tourtagebuch 2000)

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