Roskilde 2000 – von Morgenstern

5.Kapitel: 2000 – Über den Wolken

Es war 1994. Kay arbeitete damals noch als Sozialarbeiter beim „Rockmobil“ und hatte eines Tages die Idee, mit ein paar der von ihm betreuten Nachwuchsmusiker eine „Weiterbildungsmaßnahme“ – selbstverständlich senatsgefördert – durchzuführen. Warum immer langweilige Vorlesungen besuchen, wenn es auch anders geht? Ins ferne Dänemark zum „Roskilde Festival“, Europas größtem Festival mit bis zu 120.000 Besuchern, sollte es gehen. Drogenprävention im Auge des Hurricans – Nachtigall ick hör dir trapsen! Kay hatte damals Bass- und ich Schlagzeugschüler und wir arbeiteten in einem Jugendklub in Berlin-Lichtenberg. Ein paar unserer Schüler und ein paar Musiker von den dort probenden Bands, sowie 10 Paletten leckersten senatsgeförderten Bieres luden wir in 2 senatsgeförderte Ford-Busse, die uns äußerst preisgünstig zum wohl größten Drogenvernichtungspunkt der westlichen Hemisphäre brachten!
Wir waren überwältigt von der Anzahl der Bühnen und den weit über 100 Bands die dort im Norden auftraten. Mir gefiel es sogar derart gut, dass ich in den folgenden Jahren stets wieder nach Roskilde fuhr, manchmal mit und manchmal ohne Kay. Einmal haben wir sogar einen In Extremo-Gig abgesagt – nur um hinfahren zu können und haben anschließend die ganze Band mit unserer Roskilde-Manie genervt. Als wir 2000 dann selbst dort auftraten, konnten die Kollegen unsere Macke dann aber nachempfinden – wenigstens etwas.
Jedes Jahr nach Roskilde zu fahren und die Begeisterung des Publikums bei den verschiedensten Acts  selbst miterleben zu können, da kommt man schon ins Träumen, wie es wäre, wenn man hier mal selbst spielen könnten. Lange Zeit war es ein Traum, aber 2000 sollte er endlich wahr werden – wir waren eingeladen. Wir fuhren mit unserem Lieblingsbusfahrer Carsten. Pünktlich genug vor Ort, bot sich die Gelegenheit, das Gelände auch mal Backstage in Augenschein zu nehmen und uns die eine oder andere Band anzusehen. Leider war es sehr kalt und regnerisch.
Als Topact spielte an diesem Tag Pearl Jam auf der Mainstage. Aus der Erfahrung, wo man am besten hört und mit dem Wissen, dass wir noch spielen, stellten wir uns in ausreichender Entfernung links vom Mixerturm auf. Wir schauten zunächst dem Treiben von ca. 50.000 Leuten, die sich da vor der Bühne versammelt zu.
Plötzlich stockte der Pearl Jam-Sänger Eddie Vedder und hörte dann ganz auf zu singen. Der große Monitor an der Rückfront des Mixers zeigte die Bühne und die völlig nervöse Miene des Herrn Vedder. Mittlerweile hörte auch die Band auf zu spielen und Eddie Vedder mahnte zu Ruhe und Besonnenheit. Direkt vor der Bühne war viel Bewegung entstanden, wir hatten jedoch keine Ahnung was da vorne passiert war, so weit entfernt vom Ort des Geschehens. Es schien jedenfalls etwas Ungewöhnliches vorgefallen zu sein und ein paar Schreie waren zu hören.
Später im Backstagebereich unserer Bühne berichtete der Veranstalter was vorgefallen  war. Es war die Rede von Chaos, vielen Verletzten und sich wiedersprechenden Aussagen zum Fortgang des Open Air. Wir waren hin und her gerissen, Entsetzen über die Ereignisse und andererseits die Sorge ob wir nun selber noch spielen dürften. Die Veranstaltungsleitung entschloss sich die Konzerte planmäßig weiter laufen zu lassen und wir traten schließlich auf.
Zu unserem Erstaunen war das Zelt übervoll. Das Publikum war so zahlreich erschienen, dass ein Teil nur draußen zuhören konnte. Ein Teil der Leute schien noch gar nicht zu wissen, was vorgefallen war, andere ignorierten die Geschehnisse oder wollten sich einfach nur davon ablenken. Die Massen waren wie aus dem Häuschen, sangen viele Texte mit, machten gute Stimmung und dankten uns mit sehr viel Beifall. Unsere Gefühle beim Auftritt waren sehr gemischt. Einerseits Betroffenheit und andererseits Gänsehaut und Stolz ob des rasenden 3000 Mann Publikums. Es ist kaum zu beschreiben.  Mit diesen „Mixed Emotions“ spielten wir unseren Auftritt und waren am Ende doch irgendwie glücklich.
Ich habe sehr lange gebraucht diese Situation zu verarbeiten. Ausgerechnet, wenn ich auf dem Festival spiele, das ich schon seit Jahren sehr sehr gern besuchte und das als eines mit den höchsten Sicherheitsstandards galt, passiert ein solcher Unfall. Ich hoffe, dass die Veranstalter die erforderlichen Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen haben, sodass so etwas nie wieder geschieht. Schwer auszudenken, wenn unseretwegen dergleichen vorkommen würde…
Kurz nach dem „Roskilde Festival“ ging es bereits weiter nach Salzwedel zum „Parkfest“, wo wir zwischen Reamonn und der Nina Hagen Band auftraten. Was für eine geniale Zusammenstellung!

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