Meet The Stones

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Dear Doctor – The Rolling Stones (Beggars Banquet/1968)

Eines muss ich gleich mal vorweg schicken: Ich bin nie ein besonders großer Stones-Fan gewesen. Zwar zählen „Miss You“, „Fool To Cry“ und „Respectable” zu meinen persönlichen Top 100 und ich musste “Jumping Jack Flash” und “Honky Tonk Woman” seit seligen Schülerbandtagen bestimmt schon mehrere tausend Male in den verschiedensten Bands spielen – aber das ist eine andere Geschichte. Diese Songs gehörten, ebenso wie „Cocaine“, „Hey Joe“ oder „Sweet Home Alabama“, auf die Festplatte eines jeden Rockmusikers und mussten bei einer Session immer abrufbereit sein. Auch um die Entscheidung zwischen den Beatles und den Stones kam ich herum, um diese alles entscheidende Frage prügelten sich die Jugendlichen einer bis zwei Generationen vor meiner Zeit. Zu dieser Generation zählten auch Andre, unser Sänger und Egon, einer der beiden Gitarristen meiner Band „Freygang“. Ich fand beide Gruppen im Übrigen zwar gut, aber wenn schon, dann interessierten mich aus den 60ern eher die Kinks und The Who…

Die eigentliche Geschichte aber ist schon reichlich obskur und beginnt, wie soll es auch anders sein, in einer Kneipe. Nebenbei gesagt passieren im Musikbuisiness die meisten Sachen in Kneipen, Bars oder Klubs: Hier werden nach meiner bescheidenen Hochrechnung sicherlich 99% aller Bands gegründet bzw. unter dem Einfluss von reichlich Alkohol neu zusammengestellt, hier werden die wichtigsten Entscheidungen getroffen, hier beginnen die allermeisten Geschichten. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes erzählen, doch es ist einfach eine Tatsache. Oftmals kommt man auch nur durch Zufall zu den besten Geschichten – oder wie in diesem Fall – wie die Jungfrau zum Kinde. Genau deshalb werde ich den Beginn jetzt genauso verworren darstellen, wie er mir überliefert wurde.
Also, Schauplatz Metzer Eck, Berlin-Prenzlauer Berg, mehr oder weniger das Hauptquartier meiner damaligen Band: Hier trifft sich im Sommer 1990 ein australisches Filmteam mit einem bulgarischen, aber deutsch sprechenden Filmemacher, der schon seit geraumer Zeit in Ostberlin lebt. Im Auftrag eines reichen australischen Mäzens soll eine Reise von Berlin nach Peking gedreht werden. Gesucht werden interessante Gesprächspartner, Geschichten am Rande der Strecke und eben eine Band, denn Ausgangspunkt der Reise sollte ein Konzert der Rolling Stones im Berliner Olympiastadion sein. Berlin – Peking in mehreren Etappen, von Mauer zu Mauer sozusagen.
Unser Gitarrist Egon, der heute Abend sozusagen Dienst im Headquarter hatte, glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Freygang waren natürlich eine Band, obendrein noch eine Kultband wie es wohl keine andere im Osten gab und die beiden Stammesältesten der Kapelle waren zudem Stones-Fans der ersten Stunde. Also, wir waren natürlich mit dabei, da gab es gar keine Diskussion!
Tage später und Stunden vor dem eigentlichen Konzert wurden wir und die Filmleute zum Gelände des Olympiastadions gekarrt, dort ging es dann schon mal durch die ersten beiden Sicherheitsschleusen. Ja, und dann? Dann passierte natürlich erst einmal überhaupt nichts! Irgendjemand brachte uns mitleidsvoll eine Palette Bier und wir lümmelten auf dem Rasen rum. Durst hatten wir immer und Gott sei Dank war das Wetter perfekt. Der Chef der Filmcrew verhandelte unterdessen wohl mit dem Management. Eine Stunde später kam ein Mitarbeiter der holländischen Produktionsfirma mit einer weiteren Palette Bier und einer Plastiktüte für jeden Musiker: „Viele Grüße von den Rolling Stones!“
Ja, natürlich! Viele Grüße von den Rolling Stones! Was konnte da nur drin sein? Ich riss die Tüte auf und zwei eingeschweißte Kassetten kamen zum Vorschein. Immerhin von den „Rolling Stones“. Na okay! Was hatte ich denn erwartet? Autogrammkarten? Signierte Schallplatten? Persönliche Grußbotschaften? Es war schon alles etwas komisch: Wir kamen zwar aus Ostberlin, okay, das zählte zu diesem Zeitpunkt ja irgendwie auch noch zu Osteuropa, aber wir waren doch nicht aus Albanien oder aus der Mongolei! Kassetten? Hatte ich denn überhaupt noch einen funktionierenden Kassettenrecorder? Aber immerhin: „Viele Grüße von den Rolling Stones“! Ja, ganz bestimmt! Eine halbe Stunde später kam der nächste Holländer über den Rasen und sagte: „Jungs, ihr kommt jetzt mal mit mir mit, ihr habt jetzt eine Pressekonferenz. Die Filmcrew bleibt aber hier! Keine Kameras!“ Aha, wir hatten also eine Pressekonferenz. Was sollte das nun wieder werden? Und so führte man uns quer durch die Katakomben des Stadions, vorbei an etlichen Garderoben, Räumen voll mit Spielautomaten und Billiardtischen, bis wir schließlich in einen kleinen Saal geschoben wurden.
„Ihr wartet hier!“
Dann kamen ein paar Fotografen und wir ahnten, dass dieses hier keine normale Pressekonferenz werden würde. Wozu auch? Wer würde sich hier für unsere Band interessieren? Und dann, ganz plötzlich wie aus dem Nichts, kamen sie: Charlie Watts, Ron Wood, Keith Richards, Mick Jagger und ganz zum Schluss Bill Wyman, eben jener Erfinder solch genialer Bassriffs wie in „Miss You“. Das war schon ein erhebender Augenblick: Freygang zusammen mit der größten Band der Welt! Mit den Kassetten-Verschenkern!
„Hey guys, you are the band from East Germany?“
Was hieß eigentlich die größte Band der Welt? Ich war erstaunt, wie klein die Musiker waren! Mick Jagger hatte die Figur eines Bodenturners, auch Keith Richards und Ron Woods Falten und whiskygetränkten Stimmen waren echt, Charlie Watts blieb ganz der weißhaarige Gentleman im Hintergrund und Bill Wyman hatte die kleinsten Bassisten-Hände der Welt! Wie konnte man damit überhaupt spielen? Wir hatten 20 Minuten zum Reden, die Fotografen fotografierten, was das Zeug hielt und dann verschwanden sie so plötzlich, wie sie erschienen waren.
„Da könnt ihr euch aber glücklich schätzen, dass die Stones euch sehen wollten. Nicht mal die Vorband durfte sie persönlich treffen!“, sagte der Holländer.
Am Abend konnten wir uns das Konzert dann aus der VIP-Lounge aus ansehen, bei Sekt und Bier aus Plastikbechern. Gab es hier eigentlich noch eine VIP/VIP-Lounge? Das Filmteam filmte uns beim Trinken und hatte eine Dreherlaubnis für den ersten Titel des Konzertes bekommen. Das war es dann auch schon im Großen und Ganzen. Ich muss ja nicht weiter betonen, dass wir nie ein Foto von Freygang zusammen mit den Rolling Stones bekamen. Keine Erinnerungen, kein Beweismaterial weit und breit! Und auch die Geschichte mit der Reise nach Peking verlief sich noch in Berlin im Sande – irgendjemand hatte plötzlich aus irgendwelchen Gründen kein Geld oder kein Interesse mehr. Was weiß ich?

Vier Jahre später spielte ich bei einer Gruppe mit dem wunderschönen Namen „Church Of Confidence“. Da wir mit dieser Band nach jeder Tour mit doppelt so viel Schulden wieder heim kamen, als wir vorher hatten, arbeiteten wir nebenbei manchmal bei „Stage Force“, einer Firma, die Roadies für Konzerte vermietete. Im Sommer 1995 war wieder einmal Großkampftag angesagt, da die Rolling Stones mit ihrer „Voodoo Lounge“-Tour in Berlin Station machten. Eine neue Möglichkeit des Gelderwerbs für die „Kirche des Vertrauens“ also. Es sollte hart werden: Drei Tage ohne Schlaf, pausenlos wollten Boxen entladen und von A nach B transportiert werden – und das alles für einen doch eher symbolischen Lohn. Der Roadie und der Musiker stehen (mit wenigen Ausnahmen) bei der Musikindustrie eben irgendwie am Ende der Nahrungskette. Ich wollte trotzdem mit dabei sein, zumal man – wenn man denn günstig eingeteilt wurde – sich die Show umsonst anschauen konnte. Doch kurz bevor ich mich auf den Weg ins Stadion machte, schaute ich zu Hause noch mal in den Briefkasten und fand dort überraschender Weise in einem Brief des Stadtmagazins „Tip“ zwei Eintrittskarten für eben jenes Konzert der Rolling Stones. Scheiße, das hatte ich doch total vergessen! Ich hatte bei einem Preisausschreiben mitgemacht – man sollte die 10 beliebtesten Stones-Songs in der richtigen Reihenfolge erraten, was ja nicht weiter schwer war – und ausgerechnet ich hatte gewonnen. Ich schwöre: Das war das einzige Preisausschreiben bei dem ich jemals mitgemacht habe! Ich konnte mich irgendwie nicht so richtig freuen.
Am Olympiastadion wurden wir gleich in mehrere Gruppen eingeteilt: Boxen schleppen, Bühne bauen, Videoleinwand stellen, Lichtanlage aufbauen. Und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen: Da standen 56 (sechsundfünfzig!!!) Sattelschlepper vor der Stadioneinfahrt, die allesamt entladen werden wollten. Ich hatte auch noch das Pech in der Gruppe mit den blauen T-Shirts zu landen, welche die Boxen tragen durfte. Meine Church Of Confidence-Kollegen, die schon öfters als Roadies gearbeitet hatten und die über weitaus mehr Erfahrung als ich verfügten, hatten sich bei der Aufteilung rechtzeitig aus dem Staub gemacht. Sie waren nun für den gemütlicheren Teil der Arbeiten zuständig. Zum Arbeitsbeginn raunte mir Gerry, unser Gitarrist, noch zu:
„Kay, lass dich niemals zusammen mit Frauen in eine Gruppe einteilen, die lassen gerne Mal schwere Sachen fallen!“
„Ja ja!“
Prompt ließ mir keine zwei Stunden später eine Braut die erste Box aus 2 Metern Höhe direkt auf den linken Fuß krachen! Klasse! Der Fuß schwoll an und ich konnte ab jetzt, sehr zum Spott meiner Band-Kollegen, nur noch mit schmerzverzerrtem Gesicht über das Gelände humpeln.
„Sorry, die war locker und ist mir aus der Hand gerutscht!“
„Kann ja jedem einmal passieren!“, log ich.
Ein paar Stunden später fiel dem Monteur der riesigen Metallschlange, die hoch über der Bühne thronte, der Schraubenschlüssel aus der Hand und erledigte den nächsten Roadie, der anschließend mit Blaulicht und einem Schädelbasisbruch ins Krankenhaus gebracht wurde. Scheiße, langsam wurde es hier gefährlich! Und langsam wurde auch die Zeit knapp. Übernächtigte Roadies und genervte Veranstalter ließen die Stimmung auf den Nullpunkt sinken.

Oh help me, please Doctor, I’m damaged
There’s a pain where there once was a heart
It’s sleepin. It’s beatin’
Can’t ya please tear it out and preserve it
Right there in that jar?

Dann endlich das Konzert der Stones. Von Ferne sah ich kleine Punkte auf der Bühne, wovon sich einer ziemlich oft von rechts nach links bewegte. Das musste wohl Mick Jagger sein! Ein Blick auf die Videoleinwand bestätigte meine Vermutungen. Und dabei stand ich doch gar nicht so weit hinten, was sollten die anderen Zuschauer sagen, die hinten auf den „billigen“ Plätzen saßen? Ich hätte mich geärgert, wenn ich heute 80 DM für eine Karte ausgegeben hätte. Meine Freikarten hatte ich Reinhold geschenkt und der hatte dafür meinen alten Opel Kadett wieder halbwegs flott gemacht. Immerhin etwas!
Während der Zugabe standen wir schon wieder startbereit hinter der Bühne und ich schwöre: Der letzte Ton von Keith Richards Gitarre war noch nicht ganz verklungen, da schraubten wir schon an der Plexiglaswand, die Charlie Watts Schlagzeug umgab.
„Los, rauf auf die Bühne, abbauen!“
„Was? Die spielen doch praktisch noch!“
„Rauf auf die Bühne habe ich gesagt oder seid ihr schwerhörig?“
Direkt hinter der Bühne warteten mit laufenden Motoren bereits fünf VW-Busse, welche die Musiker direkt von der Bühne ins Hotel bringen sollten. Schließlich war Volkswagen Hauptsponsor und für irgendetwas mussten die ja gut sein. Fünf VW-Busse und…? …ein Bentley! Mick Jagger hatte keine Lust auf Volkswagen!

Mick kam schließlich im weißen Bademantel von der Bühne und wollte gerade sein Gefährt entern, als er mich entdeckte:
„Hey Kay, you are the guy from these East German Rock Band? Freygang, right?”
„Yes!”
„Hey, nice to meet you again! And hey – that´s Jerry, my girl!”
„Hey Jerry, how are you?”
„Thank you, I’m fine!”
Ich beugte mich in den Bentley und gab der texanischen Ölmilliardärstochter einen langen, feuchten Kuss.
„Do you like to come with us? We have a party at the Kempinski!”
Ich zögerte kurz, doch die Arbeit ging natürlich vor.
„Hey, I´m so sorry, but I have to work!”

Jaaaaaaaaa, ganz genau. So war es! Ich hätte es schwören können!

Also noch mal von vorn: Mick kam also im weißen Bademantel von der Bühne und wollte gerade den Bentley entern, als er die Crew in den blauen T-Shirts entdeckte:
„Thank you, guys!“
Stieg ein und verschwand…

Wir bauten also unter den Augen der immer noch auf eine Zugabe wartenden Zuschauer ab, wichen zwischenzeitlich dem einen oder anderen halbgefüllten Bierbecher aus, dann ließ ich mir meine 200 DM inklusive Mehrwertsteuer auszahlen und verschwand nach Hause.

Es sollten schlimmere Konzerte kommen, mit wirklich arroganten Bandcrews. Die Crew der Stones war abgeklärt und bestand aus wirklich netten Kerlen. Ich denke mit Grausen an die Konzerte der Scorpions und Peter Maffay in der Deutschlandhalle. Von denen konnte man nicht mal die T-Shirts gebrauchen. Oder würde jemand freiwillig mit dem Spruch „Free like an eagle!“ herumlaufen wollen? Ich entsorgte die Shirts immer schon auf dem Weg zur Nachtbushaltestelle im nächstbesten Mülleimer. Ich lass mir doch von euch nicht erzählen, wie man eine Bassgitarre in einen Koffer packt!

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