Lebensbeichte – von Nora van Rijn

7.Kapitel: 2002 – Die Lebensbeichte

„Van Rijn, schönen guten Tag, ich würde gerne Karten bestellen… van Rijn…v-a-n, und dann  groß R-I…..nein, R-I-J-N. Ja, genau, I-J. Hm, holländisch. Ja, wie der Fluss, hm. Ja, find ich auch lustig. Tschüss.“
An die Fahrerin gewandt: „Nächstes Mal bestellst Du die Karten!“

Dies ist ein Reisebericht, wohl eher ein Extrakt, mit dem Untertitel:
„Zwei kleine Choleriker auf Reisen.“ Die geschilderten Begebenheiten ereigneten sich in den Jahren 1999 – 2002. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist völlig beabsichtigt.

Weißensee

Der rote Seat Marbella Spezial (!!!) kämpft sich auf die Autobahn. Die Beifahrerin wirft einen Blick auf die Anzeigen im Cockpit.
„Sag mal, das rote Lämpchen da, was bedeutet das?“
Die Fahrerin zuckt mit den Achseln.
„Öl, glaub ich. Scheint aber nicht so schlimm zu sein.“
„OK.“
Der winzige, rote Seat Marbella Spezial (!!!) kämpft sich durch einen kleinen Ort, Weißensee geheißen. Die Beifahrerin studiert die Karte.
„Der Campingplatz müsste links sein… glaub ich… sind da keine Schilder?“
Oh doch! Aber die werden übersehen. Schließlich jedoch findet man den Campingplatz. Das rote Lämpchen, das vermutlich „Öl“ signalisiert, ist beinahe vergessen- aber nur beinahe…
Man richtet sich ein, baut professionell ein Zelt auf („Kommt das jetzt nach vorne oder ist das oben???“). Da taucht ein alter Bekannter auf. Es ist der kleine, dicke Musiker genannt „Eule“ (Name geändert) mit seinem putzigen, kleinen Bus (Proportionen geändert) der Marke Fiat (Marke geändert). Zusammen mit Eule begibt man sich in einen Park am Fuße einer Burg. Die Fahrerin merkt an:
„Kuck mal, der weiße Bus da, der parkt einfach auf dem Bürgersteig!“
Die Beifahrerin nickt: „Jau! Unseriös, so was!“
In dem Park gibt man sich der Musik hin und unsere zwei kleinen Choleriker entpuppen sich als unbestechliche Rhythmiker.
Am darauffolgenden Tag besucht man den Mittelalterlichen Markt. Das Programm ist gut. Auf der Rückfahrt blinkt sich das fröhliche, rote Lämpchen wieder in die Herzen von Fahrerin und Beifahrerin.
„Is Öl, ne?“
„Hm.“
„Auftritt war gut, ne?“
„Jo.

Osnabrück

Es schneit. Der kleine, rote Seat Marbella Spezial (!!!) zockelt tapfer an einer Reihe Autos vorbei, die auf der rechten Spur stehen. Die Fahrerin runzelt die Stirn.
„Was haben die denn? Geht doch.“
Ankunft in Osnabrück, vier Stunden zu früh. Die Fahrerin wendet sich an die Beifahrerin:
„Wann ist Einlass?“
Die Antwort ist niederschmetternd.
„Und was machen wir so lange?“
Eine weitere niederschmetternde Antwort.
Warten ist eine anstrengende Angelegenheit, besonders bei minus zwei Grad und mit einer Autoheizung, die noch nicht einmal als Fön Erfolg hätte. Die Fahrerin ist wütend.
„Dann wende ich hier.“
„Hier“, damit ist der Parkplatz vor einer Diskothek gemeint. Die Fahrerin steuert den kleinen, roten Seat Marbella Spezial (!!!) um das Gebäude herum. Die Beifahrerin ist skeptisch, denn sie weiß etwas, was die Fahrerin nicht weiß.
„Das würde ich nicht tun.“
Die Fahrerin ignoriert diesen Einwand völlig und fährt mit einer für einen Seat Marbella Spezial (!!!) erstaunlichen Geschwindigkeit um die Diskothek herum- und kommt vor einem unseriös wirkenden, weißen Bus zum Stehen.
„Verdammt noch mal! Was ist denn das für eine Scheiße! Was parken die denn hier? Machen alles zu!“
Mit ungeheuerlicher Präzision legt die Fahrerin den Rückwärtsgang ein, und mit atemberaubender Geschwindigkeit wendet sie den Wagen. Man findet einen abgelegenen Parkplatz, doch der Winter ist ein unerbittlicher Gegner. Um nicht zu erfrieren, muss man also die Heizung des fantastischen Gefährts in Gang bringen- was einige Fahrzeit voraussetzt. Zur großen Freude der Fahrerin  (jedoch zum großen Bedauern der Beifahrerin) gibt es einen netten Kreisverkehr, der  nach einigen Kilometern Aufwärmfahrt ein einfaches Wenden ermöglicht.
Runde 1: „Hui!“
Runde 2: “Ha Ha!”
Runde 3: “Boah, Super!”
Runde 4-7: „Hi Hi Hi!“
Runde 8: „Das wollte ich schon IMMER mal tun!“
Der Zeigefinger der Beifahrerin schiebt sich Aufmerksamkeit heischend in das Blickfeld der Fahrerin.
„Hotz, is´ mir schlecht.“
Nachdem alles wieder im Lot ist und auch das Warten ein Ende hatte, befindet man sich auf der Rückfahrt.
„Kumma, die stehn immer noch da!“
„Hm.“
„War gut heute, ne?“
„Jo.“

Hamburg

Man hat Verstärkung bekommen: die Kommilitonin. Bemerkenswert, was so alles in einen nachtschwarzen, wunderschönen exzellent beheizten VW Golf 2 passt…
Und es liegt  kein Schnee. Und obwohl ein rotes Lämpchen aufleuchtet, ist es nicht „Öl“.
Ja, wieder einmal eine Veranstaltung und nein, man weiß den Weg nicht genau. Man hält vor einem türkischen Gebrauchtwagenhändler und studiert die Karte, als zwei dort offensichtlich Beschäftigte anbieten, der Dreier-Combo den Weg zur Reeperbahn zu weisen.
„Ich fahre vorne weg…“
Ja…
„Super!“
„Die sind mir suspekt.“
„Ich find die OK.“
„Wehe, die verarschen uns!“
Doch sie verarschen nicht, nein, sie wollen sogar noch einen Parkplatz suchen. Die Beifahrerin macht eine Entdeckung.
„Kuck mal, da isser wieder!“
Der unseriös wirkende, weiße Bus. Die Fahrerin muss zurücksetzen. Der Golf hat Servolenkung.
„Scheiße, ist das eng.“
Die Fahrerin gibt ihr Bestes, doch einige gutgelaunte, dunkel gekleidete Personen erschweren das Fahren.
„Scheiße, Leute, geht weg! Mann ey, Schnarch!“
Die Kommilitonin weist ein:„Silke, mehr links! Links, Silke.“
Die Beifahrerin meldet sich zu Wort: „Das ist aber Millimeterarbeit.“
Die Fahrerin bremst.
„Ne, hier park´ ich nicht. Das fehlte mir noch, dass ich diese blöde, weiße Riesengurke ramme. Dieser scheiß Bus macht schon wieder alles zu! Was hat der eigentlich hier zu suchen?“
Doch die freundlichen türkischen Gebrauchtwagenhändler wissen Rat, und man findet einen nahegelegenen Parkplatz – ohne störenden, unseriös wirkenden, weißen Bus.
Enttäuschung für die Kommilitonin. Ihr erstes Rockkonzert, und es gibt keine richtigen Karten. Nur billige Abreißbilletts. Die Beifahrerin ist pikiert.
„Wat soll dat denn? Wir sind doch hier nich´ aufe Kirmes! Hab´ ich gesagt: `Drei Mal Raupe bitte! ´, oder was?“
Die Fahrerin schlägt in die gleiche Kerbe: „Das sind Biermarken.“
Wie passend. Auf der Rückfahrt schleicht sich Melancholie ein.
„Weißt du noch, 99?“
„Hm.“
„War gut heute, ne?“
„Jo.“

Summa summarum (Wat unterm Strich dabei rumkommt):

Außer der Erkenntnis, dass man in einem kleinen, roten Seat Marbella Spezial (!!!), ausgestattet mit einer Matratze, vier Wolldecken, zwei Kissen und maßgeschneiderten Vorhängen nicht schlafen kann, bleibt einem nach solchen Reisen äußerst viel erhalten:

– 32 unsignierte Eintrittskarten (ha, Skat!)
– 3 unsignierte Promotion- CDs von Vorbands
– 2 Wochen Tinnitus
-1 unsignierter Drumstick.

Hinzu kommen noch jede Menge Spaß und Erfahrungen, die man nicht missen möchte.
Ebenfalls erwähnenswert wären vielleicht noch 5-spurige Einbahnstraßen im San Francisco für Arme, Übernachtungen am Kölner Hauptbahnhof, das äußerst sportive „Ganz-weit-weg-Parken“  und die befremdliche Euphorie, wenn man mal keine Karten mehr bekommen hat und zwei Stunden verschneite Straßen hinter einem liegen. Und jetzt, wie geht es den zwei kleinen Cholerikern jetzt?
„Is gut, ne?“
„Jo.“
„Kumma…“
„Oh, nein! Nich´ der schon wieder…“

ENDE.

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