Durchgeknallte Jesusfreaks

3.Kapitel: 1998 – Das Chaosjahr

Doch zurück zu „Weckt die Toten!“. Nun hatten wir Mitte August plötzlich unsere erste Rock-CD in den Händen und wir waren mächtig stolz auf das Ergebnis. Jetzt trafen auch die ersten Rezensionen der Presse ein und wir waren sehr gespannt, wie die „Öffentlichkeit“ unser Werk aufnehmen würde. „Rock Hard“-Mühlis Rezension stellte aber schon mal alles in den Schatten:

„In Extremo heißen die Herzensbrecher des Jahres – und sie werden auch eure Seelen für sich gewinnen. …mir kamen wirklich Tränen der Freude und der Rührung (…) Bereits mit ihrem ersten Longplayer machen sich diese Berliner Vagabunden unsterblich…“ 9,5 von 10 Punkten
(Wolf-Rüdiger Mühlmann, Rock Hard 7/98)

Während sich Wolf-Rüdiger zu einer 9,5 hinreißen ließ und wir im Monatspoll sogar auf einem unglaublichen 8.Platz landeten (immerhin noch vor Deep Purple), sahen das die Kollegen vom „Hammer“ aber völlig anders. Hier landeten wir auf Platz 21 und Markus Kavka, der spätere MTV-Moderator bedachte uns gar nur mit einem winzigen Pünktchen. Dafür gab es aber im selben Heft eine ganze Seite von einem wohlwollendem Henning Richter.

„Unterm Strich ist die Mischung von mittelalterlichem Pathos und metallischer Wucht dennoch eine Bereicherung der Metal-Szene.“
(Hammer 8/98)

„…ein wahrhaft alchemistischer Mix aus dröhnendem Bass, kreischender Gitarre, mystischem Gesang, betörender Schalmei und klagendem Dudelsack. (…) geht hier eine Performance ab, die ihresgleichen sucht… Der Titel der vorliegenden CD ist keine leere Versprechung…“
(cabinet Nightflight 7/98)

„Die Fusion aus folkloristischen und modernen Elementen sorgt für eine agile Musik, die insbesondere live keinen Fuß auf dem Boden lassen dürfte.“
(Frank Rummeleit, Zillo 7/8 98)

“Mächtig viel Theater, bei dem die Toten gewiss aufwachen, um sich dieses bunte Treiben nicht entgehen zu lassen.”
(Frank Rummeleit, Zillo 9/ 98)

„Eine dermaßen mitreißende Melange aus Metal und Folk hat es bislang noch nicht gegeben.“
(Andreas Reissnauer, EMP- Magazin 3/98)

„Endlich mal eine Band, die nicht so zaghaft ans Werk geht und ohne Rücksicht auf Verluste konsequent loslegt!“
Feedback #40 6/7 98)

“Sind sie durchgeknallte Jesusfreaks, vom morbiden Charme der finsteren Zeiten Faszinierte oder Möchtegern-Hunnen (…)? … die Sieben haben ein Album geschaffen, zu dem sich ebenso moshen lässt wie ein graziöses Ringelreihen tanzen.“
(Kulturnews 7/98)

„… eine der gelungensten CDs dieses Sommers… man hört praktisch den Schlachtenlärm, riecht die Exotik mittelalterlicher Jahrmärkte und den Dreck der Ghettos.“
(Kiel- Das Stadtmagazin 8/98)

Das mit den „Ghettos“ habe ich bis heute nicht verstanden – aber Danke trotzdem! Aber es gab natürlich auch andere Stimmen, allen voran unser geliebtes Berliner Stadtmagazin „zitty“, welches sich mal wieder auf die Schuhe gepinkelt fühlte. Aber von diesem Wurstblatt hatte eigentlich ohnehin auch niemand eine positive Reaktion erwartet:

„Teutonen-Terror… Muskelbepackte Männerkörper, in Felle gehüllt. Zerfurchte Gesichter und fettige Haare – das neue Ideal der deutschen Popmusikszene?“
(Mirko Heinemann, zitty 16/98)

Doch „Persona Non Grata“ legten noch eine Schippe nach (wer kennt eigentlich „Persona Non Grata“?) und bedachten uns mit den folgenden Worten:

„Hey, diese In Extremo klingen so zonig, zoniger geht´s kaum noch. Blockflötenpunkrock. Mittelalterpogo – also was für Leute mit Schellen an den Wildlederstiefeln und komischen schwarz-roten Zylindern auf dem sich lichtenden, aber noch langem Haupthaar.“
(Persona Non Grata #37)

„… von der Stimme des Sängers hat man spätestens nach dem dritten Titel genug. Das durchweg auf Traditionals beruhende Liedgut (…) wird brutal zerschrammelt…“
(Rock in Germany 8/98)

Doch wie sagte schon Wilhelm Busch? „Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst die niemand kann!“ Ehrlich gesagt bekamen wir das alles irgendwie nur ganz am Rande mit, da wir immer noch permanent auf Achse waren. Ab und zu kauften wir eine Musikzeitung an irgendeiner Raststätte zwischen Flensburg und München oder Doro hielt uns auf dem Laufenden. Die Mittelaltersaison dauerte ja noch bis zum 4.Oktober, wo wir uns dann allerdings vom letzten Markt in Goslar schon recht frühzeitig aus dem Staub machen mussten, um in den Dortmunder „Rhein-Ruhr-Rockhallen“, zusammen mit Rage, Edguy und den Schweißern, bei einem Benefiz-Konzert für Sarajevo auftreten zu können, zu dem das „Rock Hard“ eingeladen hatte. Unser alter TTO-Bus begann nun auch schon langsam aber sicher in die Knie zu gehen, auch der Bus von Boris hatte seine beste Zeit ja schon hinter sich. Die 60000 km waren wohl doch etwas Zuviel des Guten für die Beiden…
Mittlerweile hatten wir auch eine feste Bandcrew bei In Extremo mit an Bord: Micha Wegewitz als Backliner, Tino Sowada als Tonmann, Grufti als Pyro- und Lichtmann in einer Person und Puck, unser „kleiner Kollege“ als Merchandising-Chef. Hinzu kam unser damaliger Busfahrer Mölli, der uns auf der nun folgenden Tour mit seinem UFO-Plüschbus von A nach B fahren sollte.
Vom 15.10. bis zum 19.12. gingen wir dann auf unsere allererste Rocktournee, die uns vom Startpunkt Dresden aus einmal quer durchs ganze Land bis zum Abschlusskonzert nach Ludwigsburg brachte – 33 Konzerte und ein paar Off Days zwischendurch. In einigen Städten wie in Essen, Köln, Heidelberg, Jena, Leipzig und Tübingen ging es sogar am frühen Nachmittag schon mal im vollen Ornat in die örtlichen WOM- oder Media Markt-Filialen, um mit kurzen Akustikkonzerten für „Weckt die Toten!“ und „Die Verrückten sind in der Stadt“ zu werben.
1998 war ein echtes Rock´n´Roll-Jahr und niemand von uns kann sich im Nachhinein mehr daran erinnern, wie wir das alles bewältigen konnten: 3 CDs, 114 Konzerte, eine komplette  Mittelaltersaison und eine nicht gerade bescheidene Herbst/ Weihnachtstournee. Ach, ich vergaß: Weihnachten hatten wir natürlich frei!

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