Die „Hüter der reinen Lehre“

8.Kapitel: 2003 – Küss mich

Es ist jedes Mal dasselbe: Kaum kursiert die erste Promo-CD im Netz oder läuft das neue Video ein erstes Mal über den Bildschirm (was ja selten genug ist), schon stehen sie wieder Schlange und verstopfen unseren Briefkasten oder das Gästebuch mit ihren E-Mails: Die „Hüter der reinen Lehre“! Ich glaube, jede Band, die ihr 2.Werk veröffentlicht, das 2. Demotape vertickern will oder gar erst das 2. Konzert gibt, kennt diese Nervensägen zur Genüge: „In Extremo verlassen ihre althergebrachten Wege und vergraulen ihre alten Fans!“, „Müssen wir uns euch jetzt mit den VIVA-Kids teilen?“, „IE sind total arrogant geworden und denken nur noch ans Kohle scheffeln!“, „Kommerzkacke!“, „Bleibt lieber wie ihr immer wart!“, „…klingt wie Rammstein!“, „In Extremo spielen nur noch in großen Hallen!“, „Ihr habt vergessen wer euch groß gemacht hat!!“, „Höre ab jetzt nur noch STS!“, Früher war alles besser!“, „Vor ein paar Jahren konnte man mit euch auf den Märkten noch quatschen und ein Bier trinken!“
Ich glaube, wir wären heute alle schwerstabhängige Alkoholiker und hätten kein Privatleben und auch keinen Spaß mehr an der Musik. Würden wir auf solche gut gemeinten Ratschläge Wert legen, dann würden wir uns immer nur im Kreis drehen. Musiker zu sein bedeutet auch, sich weiterzuentwickeln, offen für andere Einflüsse zu sein und immer mit offenen Ohren durch die Welt zu gehen! Wer uns kennt, der weiß wie weit wir gehen und der weiß auch, dass wir uns nicht verbiegen lassen!
Aber diese Art von Fans hat ja leider jede Band zur Genüge und es gibt sie wahrscheinlich schon so lange, wie es die überhaupt Rockmusik gibt. Wahrscheinlich sogar schon länger. Nicht, dass wir für Kritik nicht empfänglich wären, aber solche Typen sind in ihrer Dumpfheit  einfach nur anstrengend… Wenn Bands wie Subway To Sally, Rammstein oder auch Tanzwut mal wieder eine neue Scheibe  veröffentlichen, dann ist es natürlich für uns wirklich immer wieder unterhaltsam, auch mal auf deren Seiten und in deren Gästebücher zu schauen. Und auch dort dieselbe Problematik! „Orientiert euch bitte wieder mehr an ‚Weckt die Toten!’“. Das machen wir sicherlich nicht! Stillstand bedeutet immer auch Aufgabe, es bedeutet, sich nach anderen richten zu  müssen und auf „Nummer sicher“ zu gehen. Und das ist bestimmt nicht der Plan von In Extremo! Wir werden zuallererst immer genau das machen, wozu wir selbst Lust haben! Nicht mehr und nicht weniger!
Was sind das eigentlich für Typen, die einen ständig mit ihren gepachteten Wahrheiten und Moralvorstellungen nerven? Manchmal erinnert mich das Ganze an die Diskussionen aus meiner Schulzeit und in den ersten Jahren bei Freygang: Auch da gab es schon die wahren Stones-Fans (aber nur bis „Hot Stuff“, danach haben die Kommerz gemacht!), die wahren AC/DC-Fans (aber nur mit Bon Scott, der „neue“ Sänger ist totale Scheiße), die wahren Queen-Fans („Flash Gordon“ war der Ausverkauf), die wahren Neil Young- und Bob Dylan-Fans (jetzt spielen die auch noch E-Gitarre!) usw. usf. Von Ton Steine Scherben und der Solokarriere von Rio Reiser ganz zu schweigen! Und auch zu Zeiten von Freygang nervten die Moralapostel schon heftigst. In der DDR existierte dabei eine ganz besondere Spezies unter den Hippies, die uns ständig erklären musste, dass wir mit unseren Lederhosen und den zu harten Gitarrenriffs, trotz unserer langen Haare, ja gar keine echten Hippies sein konnten. Na, dann eben nicht! Und kann sich vielleicht noch jemand an das Erscheinen der ersten Ozzy Osbourne-Soloscheibe erinnern, kurz nachdem er Black Sabbath (für die sich zu diesem Zeitpunkt kein Schwein mehr interessierte) verlassen hatte? Der totale „Ausverkauf!“ Ganz zu schweigen vom Hass der einzig wahren Punks gegen solche „Kommerzkapellen“ wie Die Ärzte und Die Toten Hosen. Ginge es nach solchen Typen, dann würden wir wahrscheinlich Bill Halleys „Rock Around The Clock“ heute immer noch für das Größte halten. Ich finde, solche Fans, insbesondere die erzkonservativen unter ihnen, sind beim „Großen Unterhaltungsabend der Volksmusik“ auf dem MDR oder gar bei der Bürgersprechstunde ihres örtlichen CDU/ CSU-Abgeordneten doch wesentlich besser aufgehoben als bei Rockkonzerten! Dort gibt es dann auch viele Gleichgesinnte! Amen!

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