Das Rock Hard-Tourtagebuch 1999 (Teil 7)

4.Kapitel: 1999 – Und alles wird ganz anders!

9.10.99, Bad Salzungen/ Pressenwerk & 10.10.99, Bremen/ Modernes

Heute an unserem vorerst letzten Tourtag (1.Teil) werde ich die beiden letzten Konzerte mal zusammenfassen um das Ganze noch rechtzeitig ans Rock Hard mailen zu können – Die Lutter kann sich nämlich immer noch keinen eigenen Anschluss leisten.
Bad Salzungen wurde das erwartete Inferno – im positiven Sinne. Das Pressenwerk war restlos ausverkauft. Und auch sonst hat sich der Laden zu einer sehr guten Konzertadresse gemausert, Micha und seine Crew haben aus dieser alten Industriehalle wirklich etwas gezaubert. Wenn der neue große Saal im nächsten Jahr öffnet wird hier sicherlich noch öfter die Luft brennen. Ich hoffe, dann auch wieder mit In Extremo.
Heute Morgen um 9.00 Uhr ist unser Gitarrist, Thomas der Münzer, aus unserer Band ausgestiegen! Oder vielmehr: Wir haben ihn  an einer Autobahnraststätte ca. 100 km vor Bremen unbeabsichtigt auf der Toilette sitzen lassen. Substyle erbarmten sich seiner, drehten um und erlösten den Münzer. Unser Empfangskomitee wartete vor dem Modernes in Bremen mit Blümchen, Schnittchen und selbstgebastelten Plakaten.
Ich nehme einmal an, dass unser heutiges Konzert in Bremen nicht völlig aus dem Rahmen fällt, deshalb greife ich schon mal vor. Morgenstern und ich waren hier vor 8 Jahren schon einmal zu Gast. Damals waren auch ca. 600 Zuhörer anwesend – diese standen allerdings zu unserem Leidwesen VOR der Tür, straften uns mit Desinteresse, erwarteten mit Spannung das Ende unseres Gastspiels, um dann endlich in die Disko eingelassen zu werden.
Okay, das war´s fürs erste mit meinem Tourtagebuch. Ich hoffe, es hat euch genauso viel Spaß gemacht wie mir. Wenn ihr so was gerne wieder lesen möchtet dann würde ich es vielleicht im Dezember dann fortsetzen – entweder wieder beim „Rock Hard“ oder auf unserer eigenen Seite. Für den Dezember hoffe ich, dass wir wieder mit unserer aller Lieblingsband Substyle unterwegs sein werden. Deren Späße werden alle Extremisten ab morgen wohl schmerzlich vermissen… Mit einer Träne im Knopfloch verabschiedet sich von euch heute Die Lutter
(aus dem Tourtagebuch 1999)

Wir wollten es anfangs nicht wahrhaben, dass irgendetwas mit Thomas nicht stimmte – und wie man dem Tourtagebuch entnehmen kann, machten wir uns eigentlich bis zum Schluss über seine Krankheitssymptome eher noch lustig oder buchten sie unter dem allgemeinen Tourkoller ab, schließlich war streckenweise ja mehr als die Hälfte der Band krank und am zu vielen Unterwegssein konnte es auch nicht gelegen haben, da wir durch die Mittelaltermärkte ja noch einen ganzen Teil mehr Konzerte gegeben hatten als er. Auch dass ausgerechnet er auf einer Raststätte vergessen wurde erschien uns mehr als Zufall. Aber im Nachhinein betrachtet stellt sich die Sache natürlich entschieden anders da: Bereits in Köln, nachdem wir beide eine kleine Stadtrundfahrt gemacht hatten und Thomas sich eigentlich völlig normal verhalten hatte, wollte er plötzlich dringend zum Arzt – kurz vor dem Soundcheck! Der Arzt fand natürlich nichts, was mich auch nicht wunderte. Thomas war körperlich ein äußerst starker und robuster Typ, den so leicht nichts vom Hocker riss, durchtrainiert, selbstbewusst und sehr rational. Plötzlich fing er an, irgendwie merkwürdig depressiv zu werden: Vor dem Konzert trank er binnen Sekunden ein paar Becher Whisky um locker zu werden (sonst war er eigentlich der geborene Genießer, der das alles fast schon zelebrierte), nach dem Konzert verschwand er als erster in seiner Koje im Nightliner – sonst saß er immer noch stundenlang während der Nachtfahrten vorn bei Carsten und hielt ihn mit den absurdesten Geschichten wach. In Ulm mussten wir ihm bereits ein Hotelzimmer besorgen, weil er mittlerweile im Tourbus an schlimmen Depressionen litt – auch körperlich sah er nicht gut aus, er litt und stand Höllenqualen aus, aber niemand konnte sich erklären, warum.
Bereits kurz nach unserer Ankunft in Berlin ging er ins Krankenhaus und erklärte uns, dass er die restliche Tour nicht mehr mitspielen könnte. Es war also doch schlimmer, als wir geahnt hatten.
Was nun? Abbrechen? Weiterspielen? Wir hatten noch knappe 7 Wochen Zeit bis zum 2.Tourteil und entschieden uns für die letztere Variante. Es wurde chaotisch, denn während ich mit einem befreundeten Gitarristen schon damit begann, das Programm zu proben, merkte ich, dass er zwar ein sehr guter Gitarrist war, aber große Schwierigkeiten damit hatte, kostümiert aufzutreten. Es machte keinen Sinn – er passte irgendwie nicht zur Band und ich hatte den Eindruck, dass er hier nur einen Job erledigen wollte. Und das genau brauchten wir gerade nicht. Also rief ich eines Nachts Micha an und wir gingen alle möglichen und unmöglichen Kontakte durch. Plötzlich schoss es mir durch den Kopf: Was ist eigentlich mit Sebastian? Micha war gleich schwer begeistert – klar, Basti! Auch er kannte ihn ja von früher.
Am nächsten Tag suchte ich mein altes Telefonbuch und versuchte es unter uralten Nummern. Nichts! Der einzige Hoffnungsschimmer war sein Bruder, der jedoch leider gerade auf Tour und somit nicht erreichbar war. Aber eine weibliche Stimme sagte zumindest, dass Basti noch in der Stadt sei, aber eine Nummer hätte sie natürlich auch nicht. Am selben Abend ging ich mit meiner Freundin zur Record Release Party meiner alten Band Church Of Confidence ins Kreuzberger Wild At Heart und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich Sebastian an der Bar stehen sah. Um es kurz zu machen: Basti stieg bei In Extremo ein, obwohl er mittlerweile irgendwie mit der Live-Musik abgeschlossen und seine Gitarren bereits verkauft hatte. Auch die Perspektive als Aushilfe war ja nicht gerade blendend, da wir nicht wussten, wie es mit Thomas weiterging. Thomas lag im Krankenhaus, wollte keinen Besuch – von niemandem – und die Nachrichten, die durchsickerten waren nicht gerade hoffnungsvoll.
Nach einer irren Hau-Ruck-Aktion, ständigem Proben, Kostüm- und Instrumentebesorgen, stand Basti schließlich am 4.12.1999 mit uns das erste Mal auf der Bühne.

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