Ich hör die Single nicht!

6.Kapitel: 2001 – Quo vadis In Extremo?

Wohin würde uns der Weg nun führen? Das fragten wir uns allerdings auch! Wir waren stolz auf das, was wir in den letzten Jahren, allen Umständen zum Trotz, erreicht hatten – doch würde das Alles immer nur ewig bergauf gehen können?
Erstmal waren ja 3 Monate Studiozeit eingeplant, um die neue CD einzuspielen. Ehrlich gesagt, waren „Vielklang“ und unser Produzententeam Ekki & Trosi von unserem neuen Material nicht sonderlich begeistert. „Ich höre die Single nicht!“ war unserer Managerin zu entlocken. Na ja, dann hörst du sie eben nicht! Wir würden keine Eier auf Bestellung legen und wir wollten nicht auf  „Teufel komm raus!“ auf Single-Suche gehen. Aber die Plattenfirma erwartete von uns natürlich auch irgendetwas Radiokompatibles. Einerseits hatte sich Basti inzwischen zu einem wichtigen In Extremo-Songwriter entwickelt und besonders der Gitarrenarbeit damit einen neuen Schub verpasst, andererseits wollten wir mit unserer Musik  natürlich auch ein etwas breiteres Publikum erreichen. Wir hatten alle in etwa dieselben Sound- aber nicht immer dieselben Songvorstellungen. Außerdem würden wir uns (natürlich!) von niemandem vorschreiben lassen, wohin die Reise zukünftig gehen würde. Es lag Ärger in der Luft und Irgendetwas würde passieren!
Es passierte auch etwas: Nach stundenlangen Telefongesprächen mit den Produzenten, mit Doro und der Plattenfirma (die Vorstellungen gingen wirklich meilenweit auseinander!) und den dazugehörigen Abhörsessions des neuen Material kamen wir überein, gemeinsam eine Live-Vorproduktion im „Vielklang“-Studio zu veranstalten, um irgendwie einen Kompromiss zwischen unseren Vorstellungen zu finden.
Was uns als Band anging, so waren wir (natürlich!) wieder einmal zu keinerlei Kompromissen bereit und wollten uns nicht in unserer Musik hineinreden lassen. Wir stritten um jede Note und nahmen jede Songidee schon während der Vorproduktion in ihre atomaren Bestandteile auseinander. Das Ganze gipfelte schließlich sogar darin, dass Micha einmal versuchte, über die „Lebensbeichte“ zu rappen – ein unvergessliches Hörvergnügen war es auf jeden Fall – aber mich erinnerte das Ganze eher an meine frühere Tätigkeit bei der „Lebenshilfe“. Ich schmiss die Tür zu und ging nach Hause!
Okay, da hatten wir den Salat: Viele Köche verderben bekanntlich den Brei und wirklich jeder auf der „Vielklang“-Etage wollte irgendwie in unseren großen Topf noch was mit reinschnippeln und mit  umrühren. Wir konnten keinen dieser Gestalten mehr sehen, jeder hier hatte plötzlich eine Meinung, jeder musste sie lautstark verkünden und jeder wusste es natürlich auch viel, viel besser. In so einer Phase ist es bei In Extremo wirklich immer von Vorteil, dass wir nach wie vor sehr gute Freunde und auch untereinander nicht sonderlich nachtragend sind. Wir brachen die Vorproduktion nach einer erfolglosen Woche ab, trafen uns zu einem Bandmeeting und stellten ein paar Sachen klar. Dann machten eine Woche Urlaub und standen danach wieder gut gelaunt im Studio.
Und auf einmal funktionierte alles: „Der Wind“, „Die Lebensbeichte“, „Stetit Puella“, „Die Gier“, die „Merseburger Zaubersprüche II“, „Omnia Sol Temperat“ und „Nature Nous Semont“ wurden eingespielt, lediglich am „Rattenfänger“ wurde noch einmal kräftig herumgedoktert.  Das Stück sollte laut unserem Produzenten „modern“ klingen, was auch immer das heißen sollte. Ich ärgere mich heute noch, dass wir uns schließlich zu dieser auf der CD erschienenen Version haben hinreißen lassen (Und schon nach wenigen Wochen flog dieser Song auch schon aus wieder unserem Liveprogramm).
Den Song „Le ´Or Chiyuchech“ schlug uns Thomas vor, er hatte ihn auf einer uralten Kassette für eine Lehrerweiterbildung gefunden. Leider gab es keine Quellenangaben und auch keine Textübersetzung. Also spielten wir Sherlock Holmes, durchforsteten das Internet und die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in Berlin, schrieben E-Mails nach Israel – alles ohne Erfolg. Schließlich gingen wir mit der Kassette (die zudem in einer wirklich üblen Qualität war) in ein Übersetzungsbüro und ließen uns den Text abhören und übersetzen. Schließlich erfuhr ich über Umwegen von einer Tanzlehrerin in Hamburg, die dieses Stück für ihre Arbeit benutzte und mir den Text und die Übersetzung zukommen ließ. „Viel Spaß damit und macht was Ordentliches daraus!“ Machten wir, ich wollte ihr trotzdem aus Höflichkeit unsere Version lieber nicht zukommen lassen. Leider hatte dieser Text nur eine sehr geringe Ähnlichkeit mit der Variante aus dem Übersetzungsbüro, die das Lied ob der Qualität wohl eher sehr frei interpretiert hatten. Aber parallel dazu fand Micha auch an der Uni-Bibliothek in Köln eine nette jüdische Mitarbeiterin, die den Text der Hamburger Tanzlehrerin bestätigte. Wir mussten den Originaltext allerdings etwas kürzen, aber er war ohnehin etwas „blumig“.

Le `Or Chiyuchech

Le `or Chiyuchech
Kacha hashemesh vesivo
Yakdu ne`urai bi
Beno`am midbarech
Shav techatli bi

Ssod enayich hen nigla li

Ssachu ramsu li
Ki ani dodech
Ach re´itich im erev
Vuhagigai lach teref
Bo´i na, bo´i na
Bo´i elai

 

Das Licht deines Lächelns

In Anbetracht deines strahlenden Lächelns
Ist der Glanz des Sonnenlichtes schwächer geworden
Deine Jugendlichkeit glühte
In der Herrlichkeit deines Sprechens

Sobald ich dich am Abend sehe
Raubst du mir meine Sinne
Komm, komm, komm zu mir

Im Licht deines Lächelns
Erlosch die Sonne und ihre Strahlen
Es brannte meine Jugend in mir
Von der Anmut deiner Rede

Umsonst spottest du meiner
Das Geheimnis deiner Augen
Hat sich mir offenbart und erzählten mir
Dass ich dein Geliebter bin

Ach, wenn ich dich am Abend sehe
Und mein Seufzen ist dir Nahrung
Komm, komm, komm zu mir

Auch unsere ursprüngliche Version von „Unter dem Meer“ schmissen wir noch einmal ordentlich durcheinander und machten daraus eine Version, mit der wir alle zufrieden waren. Anschließend wurden die „Vollmond“-Gitarrenspuren noch einmal überarbeitet und das war es dann auch erst mal. Es fehlten allerdings noch ein, zwei Stücke. Irgendwann platzte Pymonte dann mitten in die Aufnahmesession und präsentierte uns in seiner unnachahmlichen Art die beiden isländischen Stücke „Krummavísur“ und „Óskasteinar“. Na gut, dann eben mal ein Stück in Isländisch!
Okay, wir waren zufrieden mit unserer Arbeit und das Streiten hatte sich gelohnt. Nur das Abmixen und Mastern der neuen Scheibe wollten wir dieses Mal anderen überlassen, da wir uns mit dem Sound von „Verehrt und Angespien“ immer noch nicht so recht anfreunden konnten. Nach mehreren Testmixen der verschiedensten Produzenten in den verschiedensten Studios (die natürlich auch die Produktionskosten für die neue CD auf Rekordhöhe anwachsen ließen), landeten wir schließlich bei Jörg Umbreit und Vincent Sorg in den „Pricipal-Studios“ bei Senden im Münsterland – zwei Typen, die uns schon auf den ersten Blick sympathisch waren. Doch da die Zeit wie üblich mal wieder drängte (eine kurze Frühjahrstour wartete und zudem hatte uns das Finanzamt mal wieder einen Großteil unseres verdienten Geldes zum Wohle der Allgemeinheit abgezogen), konnte niemand der Musiker beim Endmix und Mastern mit dabei sein – eigentlich ein Kardinalsfehler, aber wir waren mit dem Ergebnis trotzdem sehr zufrieden. Vince und Jörg hatten gute Arbeit geleistet, so dass wir schon jetzt beschlossen, die nächste CD auf jeden Fall komplett im „Principal-Studio“ aufzunehmen.
Ende März ging es dann auf „Frühjahrstour“ durch die B- und C-Städte dieses Landes, wie die Agenturen so zu sagen pflegen. Aber uns war es völlig egal, wir wollten nur endlich wieder auf der Bühne stehen! Und so ging es dann, dieses Mal zusammen mit Schock, auf  einen 5tägigen Ritt durch Bochum, Oldenburg, Magdeburg, Bad Salzungen und Gera.
Für den 27.4.2001 wurden wir zum Abschlusskonzert der Inchtabokatables in die Berliner Columbiahalle eingeladen. Es war traurig und schön zugleich, denn die Inchies wollten sich nach 10 Jahren an diesem Abend endgültig von der Bühne verabschieden. Schließlich sagte Robert: „Zehn Jahre sind genug! Wir wollen den Stab heute Abend mal an euch weiterreichen!“
Drei Wochen später brachen wir dann zum 2.Teil unserer kleinen Frühjahrstournee auf, die uns von Hameln über Wilhelmshaven, Münster, Pratteln (CH), Kaiserslautern, Andernach, Bielefeld nach Nordhausen zum Abschlusskonzert führte. Teile dieses Konzertes wurden von Tim Luna für unser Live-Video „Der Wind“ zusammengeschnitten.
In diesem Jahr würden wir im Festival-Sommer erheblich kleinere Brötchen backen müssen, da wir ja schon 2000 auf allen wichtigen Festivals zugange waren. Außerdem würde unsere neue CD, die nun endgültig „Sünder ohne Zügel“ heißen sollte, ja erst Anfang September erscheinen. Und ohne neue CD eben keine Festivals!
Ganz so war es dann aber doch nicht, das nächste anstehende Festival war jedenfalls das „Wave Gotik-Treffen“ in Leipzig, bei dem wir in diesem Jahr im „Haus Auensee“ – zusammen mit Fiddlers Green, Subway To Sally und den Inchtabokatables spielten. Hatten es sich die Inchies doch nochmal anders überlegt?
Zwei Tage bevor wir dann zum „Mind Over Matter“-Festival ins österreichische Wiesen fahren wollten, gab es noch eine dieser berühmt-berüchtigten Plattenpartys, bei der man den Journalisten das neue Werk vorspielt und dazu nicht wenig Getränke durch die Runde reicht. Bei diesen Treffen ist es mir nach wie vor immer wieder schleierhaft, wie viele der Journalisten sich danach noch an die entsprechenden Songs erinnern wollen… Nun gut, es ist auf jeden Fall immer sehr lustig, mit denen zu feiern, die dann später entweder den Daumen in die Höhe heben oder das Fallbeil sausen lassen. In diesem Jahr veranstalteten wir das Spektakel, mit Hilfe unseres Gastgebers Paul Kaißer, im Hof des Schlosses Wäscherburg, in dem wir ja ansonsten eher akustische Konzerte geben. Es scheint gemundet zu haben, denn wenige Wochen später erschien im „Zillo“ das folgende (und von mir gekürzte) Interview mit Michael (Das Letzte Einhorn):

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