Knightrider

Schön ist es auf der Welt zu sein – Roy Black & Anita (Eine Liebesgeschichte/1971)
Looking For Freedom – David Hasselhoff (Looking For Freedom/1989)
Born In The GDR – Sandow (Systemausfall/Sampler/1990)

Ich mag den Geruch von mit Altöl gestrichenen Holzzäunen. Ich weiß, dass wäre mittlerweile umwelttechnisch höchst verwerflich und politisch unkorrekt (auch wenn ich gern politisch unkorrekt bin), doch in meiner Jugend war das einfach die beste und preisgünstigste Art von Recycling: Man entsorgte das Motorenöl der Autos und Motorräder und strich damit zu Hause die Gartenzäune, damit sie bis in alle Ewigkeit durchhielten. Und das hätten sie auch getan, wenn ihnen nicht plötzlich die Wende dazwischen gekommen wäre. Die Wende, die so vieles beendet hat – nicht nur die Existenz von Holzzäunen, die mit Motorenöl gestrichen wurden.
Wenn ich auf seine Kindheit zurückschaue, dann scheint komischerweise im Sommer stets die Sonne, während ich im Winter stets und ständig mit dem Schlitten unterwegs bin und unter dem Tannenbaum unentwegt Geschenke auspacke. Außerdem ist es jedes Mal ein Samstagvormittag, an dem mein Vater in der Auffahrt unseres Grundstücks in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Potsdam steht und das Auto wäscht. Es ist ein russischer Moskwitsch und er ist natürlich rot, so rot wie alle Autos in der Kindheit. Dazu weht ein zarter Geruch vom Altöl-Holzzaun unseres Nachbarn herüber, während Lord Knut im Kofferradio auf  Rias Berlin wieder seine Witze reißt, die ich in diesem Alter leider noch nicht verstehe. Ich lache trotzdem, weil mein Vater lacht.

„Es gibt ja sogar Kühe, die andersrum veranlagt sind… naja, auf manchen Milchpackungen steht ja auch homogenisiert!“

Autowäsche, ich in kurzen Hosen, der Geruch von Altöl, Lord Knuts Sendung „Evergreens A-Gogo“ und dann, man konnte fast die Uhr danach stellen, legte der unglaubliche Lord jedes Mal die schlimmste aller Platten auf – und man hörte plötzlich Roy Black jammern, der mit seiner minderjährigen Gehilfin, der kleinen Anita, allen Muttis und Vatis zu Hause, so kurz vor dem Mittagessen, noch schnell das Herz brach.

Schön ist es auf der Welt zu sein
Sagt die Biene zu dem Stachelschwein…

Ich bin zwar gerade erst sieben Jahre alt, doch das war selbst mir zu viel: Roy Black, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Gerhard Höllerich hieß, musste einfach ein Waschlappen sein und ich konnte nur mutmaßen, dass sich Lord Knut auf diese Weise bei irgendjemanden rächen wollte, so wie ich mich gern bei meinem Freund Dieter gerächt hätte, der immer noch dreist behauptete, dass meine drei Matchbox-Autos, die ich ihm nur für ein kurzes Wochenende geborgt hatte, eigentlich ihm gehörten. Roy Black, das hatte ich im Fernsehen gesehen, trug weiße Anzüge und hatte eine Frisur, die mich erschrecken ließ. Meine Mutter hatte schließlich eine Elvis- und eine Beatles-Platte in ihrer Sammlung und damit waren auch bei mir die Maßstäbe gesetzt. Dazu noch ein kleines Mädchen auf der Bühne, die aus meiner Parallelklasse hätte sein können. Das ging einfach gar nicht.
Doch mein Vater, der leider nicht die geringste Ahnung von Musik hatte, fummelte so lange am Kofferradio herum, bis der Störsender aus dem Osten nicht mehr ganz so heftig die Mittelwellen-Frequenzen des Westberliner Senders belästigte. Er möchte dieses Lied, was mich zutiefst entsetzte und summte leise, aber unüberhörbar, mit. Eines stand schon damals fest: Meine spätere Leidenschaft für Musik hatte ich ihm nicht zu verdanken.
Doch dieses Lied über die Schönheit des Daseins hatte natürlich noch weitere Zeilen, die zu zitieren sich meine Tastatur selbst heute noch sträubt.

Ich möchte mit den Wolken zieh’n in ferne Länder
Ich säß mal gern auf einem Krokodil
Die Welt wird immer kleiner und die Wünsche, die sind groß
Warum, oh schau, wie schön ist auch ein Frosch im Moos

Zeile 1 = kann man so unterschreiben, wir waren im letzten Sommer schließlich in Bulgarien und da war es eigentlich toll, auch wenn wir mit dem Flugzeug dort waren.
Zeile 2 = dass Krokodile gelegentlich Hunger haben, scheint der kleinen Anita nicht so geläufig zu sein. Ich hoffe, das bleibt auch so.
Zeile 3 und 4 = erspart mir bitte den Kommentar. Die Zeit heilt alle Wunden!

Als Ostler sah man die Dinge sowieso etwas anders. Von wegen ferne Länder. Wir hatten zwar in der DDR gelernt, wie man aus Scheiße Bonbons machte, aber bei Reisen in ferne Ländern war in Richtung Norden bereits an der Ostseeküste Schluss, wo große Scheinwerfertürme ab dem Einbruch der Dunkelheit die Strände beleuchteten und man aus der Ferne die Patrouillen-Boote der Nationalen Volksarmee beobachten konnte, während die Freiheit im Süden im günstigsten Falle bis nach Bulgarien reichte, dem Zonen-Mallorca.
Ansonsten gab es inmitten des kleinen Landes namens DDR ja auch noch den eingemauerten westlichen Teil der ehemaligen Reichshauptstadt Berlin, der auf unseren Landkarten immer nur als ein mysteriöser weißer Fleck dargestellt wurde, in dem es einfach nichts zu sehen gab, während der Ostteil der Stadt in prächtigsten Farben leuchtete. Hier wurde von der Regierung reingebuttert, als ob es kein Morgen mehr geben würde: es gab einen internationalen Flughafen, die U-Bahn, riesige Neubaugebiete, den Fernsehturm und sogar Bananen in der Hauptstadt hin und wieder verkauft – sehr zum Ärger der restlichen Einwohner dieses Landes.
Wir zogen irgendwann einmal nach Potsdam – und leider auch nur bis nach Potsdam, denn die Stadt war damals ein hässliches Provinznest, welches sich, trotz der zahlreichen preußischen Schlösser und Gärten, im Schatten der übermächtigen Hauptstadt stets unwohl fühlte. Doch auch hier gab es die Mauer, die jedoch in der Provinz fast selbstverständlich „Berliner Mauer“ hieß. Potsdam spielte ganz klar in der 2.Liga, auch wenn die unüberwindlichen Grenzanlagen sich hier wirklich spektakulär durch die Schlossgärten schlängelten und eine Brücke in der Mitte teilte, auf der hin und wieder sogar Agenten ausgetauscht wurden.
Grenzen und Mauern waren mit unserem Umzug von nun an immer präsent und störten mich eigentlich auch nicht weiter, zumindest bis ich etwas älter wurde. Wenn man jeden Tag auf die Grenze blickte, immer mit der Gewissheit, dass man sie nie passieren durfte, dann wurde die ganze Sache irgendwann einmal uninteressant, obwohl die verbotenen Dinge ihren Reiz natürlich nie völlig verloren. Rückwirkend betrachtet bin ich eigentlich meine Jugend lang rund um die Mauer herumgezogen, ohne jemals einen Blick in den mysteriösen weißen Fleck werfen zu dürfen – von Hennigsdorf über Falkensee nach Potsdam und Berlin. Und wenn ich noch tiefer in mich hineinblicke, dann mussten es wohl diese revolutionären Texte von Roy Black gewesen sein, welche schon in frühester Jugend diesen unbändigen Freiheitswillen in mir entfacht hatten, der mich später so oft gegen Mauern rennen ließ. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und Gerhard Höllerich, der Mann aus dem Autoradio meines Vaters, trug dabei wohl eine gewisse Mitschuld.

Das Schönste im Leben ist die Freiheit
Denn dann sagen wir „Hurra!“

Doch natürlich hatte nicht nur Gerhard Höllerich seinen Anteil an unserem Freiheitsdrang, denn eines schönen nachmittags im Sommer, mein Bruder und ich kamen gerade aus der Schule und dem Kindergarten, setzten wir uns, wie so oft, auf die breite Schaufensterbank der Drogerie, die unsere Eltern in einer kleinen Gemeinde südlich von Potsdam betrieben, da hielten plötzlich vier Motorräder vor dem Geschäft, von denen vier große, langhaarige Typen mit ihren langhaarigen Freundinnen abstiegen. Die Typen trugen selbst im Hochsommer ihre fetten Lederjacken und hatten breite Lederbänder an ihren Handgelenken, wie man sie von Gewichthebern und Boxern kannte, während die Frauen in ihren geflickten Jeans auf dem Vorplatz vor uns herumstolzierten und auf ihre Freunde warteten. Wir hatten natürlich noch keinen Blick für schöne Frauen, dafür aber für die Motorräder – und vor allem hatten es uns die langhaarigen Typen angetan. Solche Kerle kannten wir bisher nur aus Indianerfilmen und wir stritten uns regelmäßig, wer im Kinderzimmer die coolen, langhaarigen Indianer nehmen durfte und wer mit den spießigen Cowboys vorlieb nehmen musste. Und nun standen sie in natura vor uns und ließen uns für eine Minute auf der Rückbank ihrer umgebauten MZ 250 Platz nehmen. Für uns stand in diesem Moment fest: Solche Haare würden wir eines Tages auch tragen! Es dauerte allerdings noch bis zum nächsten Fasching und es ging dann alle weiteren Faschings immer so weiter, bis wir irgendwann keine Lust mehr auf Verkleidung hatten und uns die Haare wachsen ließen. Doch bis dahin musste natürlich noch viel Wasser die Havel hinunterlaufen.
Doch ich schweife ab, denn es geht in diesem Text um die Freiheit, dieses kleine Samenkörnchen, welches sich mittlerweile zu einer recht stattlichen Pflanze entwickelt hatte, die allerdings noch etwas Liebe brauchte. Doch dafür war Roy Black selbstverständlich nicht mehr zuständig, denn wie es im Leben oft so ist, griffen Ruhm und Ehre natürlich wieder andere ab, dreiste Typen, die im Hintergrund lauerten und auf ihre Chance warteten.
Ich mache es kurz, denn plötzlich, keine 20 Jahre später, kam mit einem Lächeln David Hasselhoff um die Ecke, schmetterte perfekt inszeniert sein Looking For Freedom an der Grenze und riss sie mit einem Ruck persönlich ein. 28 Jahre hatte das Ding gehalten, 28 Jahre war sie schier unüberwindlich – nun war uns der Messias erschienen. Vergessen waren das Drama um die langen Haare bei Lehre und Studium, vergessen der Stress bei der Musterung und dem Antrag zum Bausoldaten-Dasein, vergessen all die verbotenen Songs von Ton Steine Scherben, die Ausreiseanträge, der Knast in Bautzen und die Stasihaft in Hohenschönhausen, vergessen die Berufs- und Arbeitsverbote, denn nun war uns der Heiland erschienen! Deutschland einig Vaterland!

I’ve been looking for freedom
Still the search goes on
I’ve been looking for freedom
Since I left my home town

Wenn ich seinen Text richtig verstehe, dann suchte Herr Hasselhoff die Freiheit auch schon etwas länger, genauer gesagt seitdem er seine Heimatstadt verlassen hatte. Da konnten Roy Black, die kleine Anita, die langhaarigen Biker und ich ja wohl kaum mithalten. Schließlich war er auch nicht umsonst jahrelang der Knightrider gewesen, der mit seinem Wunderauto schon vor Jahren die Armen, Kranken und Wehrlosen beschützt und nebenbei auch die eine oder andere schöne Frau gerettet hatte. Schwer zu sagen, ob die mittlerweile große Anita in sein Beuteschema gepasst hätte (ich wollte mal schwer darauf hoffen, dass sie noch am Leben war, obwohl die Sache mit dem Krokodil ja eigentlich dagegen sprach). Es ist doch zum Mäusemelken, hätte mein West-Opa sicherlich gesagt, wenn er denn den Fall der Mauer noch miterlebt hätte – da plagt man sich jahrelang ab und dann kommt einfach mal einer so kurz vorbei und erntet den ganzen Ruhm! David aus Baltimore/Maryland/USA: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort! Zack! Die Mauer weg! Zack! Schnell auf dem Weg noch ein paar Singles verscherbelt! Zack! 70.000! Am Tag wohlgemerkt! Der Knightrider! Der Typ, der in Baywatch Pamela Anderson immer auf die Titten starren durfte!

Wir bauen auf und tapezieren nicht mit
Wir sind sehr stolz auf Katarina Witt

Die Alternative zu seinem Hit hieß Born In The GDR und war der Durchbruch einer Cottbuser Kapelle namens Sandow. Nein, nicht der Mauerdurchbruch selbstverständlich, denn das war ja Davids Baustelle – und „Durchbruch“ trifft es vielleicht auch nicht ganz, denn die Band hat mit Sicherheit nicht eine Promille seiner gigantischen Umsätze gehabt. Nicht, dass ich den Song doof finde. Aber Cottbus? David, hast du jemals davon gehört? Das liegt quasi schon in West-Polen. Undank ist eben der Welten Lohn! Danke, lieber Opa, für diese Erkenntnis! Die Revolution frisst ihre Kinder… von wem war das eigentlich?

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