Bratwurstäquator

Rennsteiglied – Herbert Roth (Mit Herbert Roth durch’s Thüringer Land/1963)

Den Weißwurstäquator kennt wohl jeder, der einmal mit bayrischen Essgewohnheiten in Berührung gekommen ist. Doch ob die imaginäre Grenze nun entlang der Donau, 100 km um München herum oder aber – sehr zum Ärger der Franken – direkt entlang der Landesgrenze zwischen Bayern und Thüringen verläuft, ist mir als Berliner und Ostler völlig Wurst. Ich esse Weißwurst nur, wenn überhaupt nichts anderes da ist und ich kurz vor dem Verhungern bin.
Nicht ganz so berühmt ist der Bratwurstäquator, sein Thüringer Pendant, bei dem allerdings noch die Frage seiner Existenz geklärt werden muss. Gibt es ihn überhaupt oder ist er nur  ein Mittel, um Besucher zu verwirren. Ich habe nicht die geringste Ahnung, deshalb verlege ich ihn einfach direkt auf den Rennsteig, den Höhenweg des Thüringer Waldes, an dessen Ende östlichem Ende übrigens heimlich Kümmel in die Wurst getan wird. Ein Verbrechen.

Ich wandre ja so gerne am Rennsteig durch das Land
Den Beutel auf dem Rücken, die Klampfe in der Hand

Gottverdammt, ich habe es versucht, damals im Frühjahr 1981, bei meinem ersten Wanderversuch in Thüringen, der dann auch für lange Jahre der letzte geblieben ist. Es konnte ja keiner ahnen, dass auf dem Kammweg im späten Frühjahr noch Schnee lag und wir mit unseren Jesuslatschen und Basketball-Turnschuhen aus dünnem Stoff durch zentimeterhohen Matsch waten mussten, um uns den Arsch abzufrieren. Bier und Rhöntropfen gab es genug, doch von der berühmten Bratwurst weit und breit keine Spur. Wahrscheinlich gab es wieder irgendwo einen Versorgungsengpass, hier oben gab es jedenfalls nichts außer Schneematsch, Nieselregen und dunklen Wolken. Das Imbissangebot ähnelte eher dem in der Sahel-Zone. Doch das alles ist natürlich lange her und hat einen riesigen Bart.
Apropos Bart: In Extremo hat seit jeher eine besondere Beziehung zu Thüringen – zu „Zoppingen“ wie es bei uns heißt. Es gab ja auch ein Leben vor In Extremo, bei dem es für unsere früheren Bands immer nur eine Fahrtrichtung gab: Nach Süden, in die Lausitz, nach Sachsen – aber vor allem nach Thüringen. Hier wohnten die schönsten Mädchen, hier gab es die meisten Hippies und Blueser und hier gab es das beste Bier.
Bratwurst hat uns damals nicht die Bohne interessiert. Uns hat Essen, mal ganz am Rande, während unserer Touren ohnehin kaum interessiert. Essen ist der Sex des Alters, sagt man neuerdings und ich hoffe, dass dieser Kelch noch lange genug an mir vorübergeht. Heute ist die Wurst natürlich in Thüringen natürlich omnipräsent und so etwas wie ein Nationalheiligtum: Bratwurst hier, Bratwurst dort und sogar ein Bratwurstmuseum gibt es irgendwo zwischen der Wartburg und den Drei Gleichen. Schaut man übrigens von der Wartburg über Eisenach hinweg in die nördliche Richtung, dann kann man in der Ferne die Creuzburg erkennen, eine kleine Burg im gleichnamigen Ort, auf der wir mit In Extremo in regelmäßigen Abständen Konzerte geben.
Genau im Juni vor 10 Jahren waren wir zum ersten Mal auf der Burg zu Gast und laut unserem Veranstalter regnet es seit diesem Tag immer pünktlich zu Konzertbeginn. Meine Erinnerung daran ist leider etwas getrübt, an was ich mich allerdings mit ziemlicher Deutlichkeit erinnere, ist die Bratwurst-Geschichte.
Ich kann vor Konzerten nie etwas essen und das Catering (besonders das Thüringer Catering) geht leider mit schöner Regelmäßigkeit an mir vorbei. Thüringen ist Bratwurst-Land, ganz klar. Ganz besonders deutlich wurde mir das während eines Konzertes vor ein paar Jahren. Ich stand hungrig auf der Bühne, nippelte  in den Pausen zwischen den Songs lustlos an meinem Bier herum, während von jeder nur erdenklichen Seite der Geruch von Bratwürsten zu mir hoch auf die Bühne stieg, was mich irgendwie irritierte. Ich muss zugeben, dass es Songs gibt, die man schon etliche hundert Mal gespielt hat, so dass auch die Konzentration hin und wieder etwas abnimmt. Ich blickte mich also auf der Bühne um und sah unseren Techniker Adi, der direkt links neben mir hinter dem Monitor-Mischpult stand und in eine Bratwurst biss.
„Adi, ich brauche auch so ein Ding!“, rief ich ihm zu, während mich im Mittelteil zu „Küss mich“ die Grundtöne intellektuell nicht besonders herausforderten. Adi grinste mich an.
„Kommt sofort, mein Freund!“
Ich habe nicht geglaubt, dass er meine Bitte wirklich ernst nahm, doch keine zwei Minuten später stand er mit einer Bratwurst, einem Brötchen und viel, viel Born-Senf aus Erfurt neben mir und stellte alles oben auf meine Bassbox.
Es gibt diese Momente auf der Bühne, da steht man quasi mitten im Geschehen und fühlt sich trotzdem unbeobachtet. Ich war mal auf einem Konzert von Phillip Boa & The Voodooclub, als der eitle Sänger sich auf der Bühne vom Publikum wegdrehte, in seine Hosentasche griff und sich in aller Ruhe die Haare kämmte. Ich biss also stattdessen in die Bratwurst und es war ein herrlich befreiendes Gefühl: Bratwurst, Born-Senf, dazu ein Bier – und das alles in einer lauen Sommernacht, denn der Regen hatte sich inzwischen auch verzogen. Es konnte alles nicht schöner sein. Creuzburg eben.
Von meiner Wurst musste ich trotzdem heimlich abbeißen, doch die Crew lachte die ganze Zeit, denn es kam natürlich irgendwann auch der Moment, in dem ich vergaß mitzusingen. Fehler mit Ansage. Oder besser, ich wollte es nicht riskieren, mit vollem Mund mitzusingen. Und erst da fiel es unserem Sänger auf, dass ich die ganze Zeit gegessen hatte. Ich stoppte zwar meine Kaubewegungen (was wirklich sehr bescheuert ausgesehen haben muss), aber meine nun mittlerweile leere Pappe war durch die Vibrationen meiner Boxen hinunter auf die Bühne geweht.
„Isst du hier etwa Bratwurst? Auf der Bühne“, zeigte Micha belustigt auf die beschmierte Unterlage, während ich versuchte den Rest der Wurst hinunterzuschlucken und unschuldig zu tun. Micha hielt die Pappe in die Höhe und ließ sie mit einem kurzen Schwung durch die Luft segeln. „Ich will auch so eine! Wenn wir schon mal in Thüringen sind…“
„Ich auch!“, tönte es vom Schlagzeugpodest und auch von der rechten Seite und den Dudelsackspielern in der Mitte wurden nun hektisch Bestellungen aufgegeben. So kam es also, das In Extremo wohl die erste Band Deutschlands war, die während eines Konzerts mitten auf der Bühne Bratwurst gegessen hat. Für einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde wird es wohl trotzdem nicht reichen. Schade eigentlich.

3 Kommentare
  1. Christel sagte:

    Tjaja, die Bratwurstgeschichte. Das ist schon ein paar Jährchen her. Micha erwähnte die Begebenheit zur Belustigung des Publikums in Thüringen auch schon einmal, oder mehrmals. Tja den Duft von Bratwurst habt ihr in Thüringen sicher schnell in der Nase. Und auf den Spuren Herbert Roth’s wirst Du heutzutage selbst im Winter eine Bratwurst vom Rost bekommen. Mit festem Schuhwerk natürlich.

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  2. Udo Barsuhn sagte:

    Anfang September war ich noch auf der Creuzburg, als du da mit Inex aufgeschlagen bist. Eigentlich wollte ich noch im Ort oder in Eisenach schön Essen gehen. Weil aber eine liebe Freundin kurzfristig absagen musste und sonst keiner mit wollte, habe ich mir was auf der Burg holen wollen. Also nach Einlass direkt zu den „Fress-Ständen“ gegangen… hmmm Bratwurst. Kann, muss aber nicht. 😉 Zum nächsten Stand also. Was muss ich sehen? Auch nur Bratwurst! xD Am Ende wurden es dann 2 gut durchgegrillte Bratwürstchen. Haben auch satt gemacht! 🙂

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